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24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 17: Michael Helminger

Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen,
die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit
Futuristisches Manifest

.»warum du alleine schneller ans ziel kommst« / »5 tipps, wie du eine stunde pro tag dazugewinnst, ohne mehr zu arbeiten« / »wie selbständige beim power napping kraft tanken können« / »wie du deine ziele nächsten monat statt nächstes jahr erreichst« /
»wie wir überzeugungen überdenken und positives stärken« / »selbst-coaching-tools für den unternehmerischen alltag« / »raus aus der schockstarre, rein ins tun« / »vom aufschieber zum umsetzer und dranbleiber« / »persönliche energiewende, die funktioniert – so werden deine akkus nie leer.«

er/sie denkt. an optimierung. für eine neue zukunft. welche? brechen mit tradition. mit gestern. ja. immer vorwärts schauen. immer schneller. ungebundenheit ist schönheit. ungebundenheit ist ziel. unverbindlichkeit ist ergebnis. jede und jeder hat es in der hand. high tech ist poesie. alte formen zerbrechen. orte zerbrechen. neue formen entstehen. sind da. sind realität. geben orientierung? orte schon. aber das ist altes denken vor den friedhöfen der kultur.
»wenn du glaubst, du hättest die dinge unter kontrolle, fährst du nicht schnell genug.«

er/sie denkt. an revolution. in kunst. in leben. in technik. die futuristen damals wollten das. liebten das neue, das dynamische, das kühne. sie verachten das alte, das statische, das feige. das bewahrende. es gibt etwas in mir, das daran anknüpfen kann.
er/sie denkt. an den sieg. ist (selbst)mangement, nicht hans im glück. sucht innovation, sucht disruption, sucht geschwindigkeit – echo des futurismus? vielleicht. doch vorsicht! futurismus umarmt krieg, gewalt als reinigungsmittel der welt – gefährliche liebe! (selbst)management will mehr. sucht auch nachhaltigkeit, sucht ethik, sucht menschlichkeit. will alles sein. erfolg und weltanschauung. und religion. aber die liebe zur innovation, zum bruch mit dem alten? lebt weiter im herzen des siegs – ein kind des futurismus? ganz sicher ein nicht allzu entfernter verwandter.

er/sie denkt. an zukunft. an überleben. notwendige anpassung. digitalisierung als werkzeug. für effizienz. für ressourcenschonung. futurismus liebt maschinen, geschwindigkeit, fortschritt – digitalisierung ist kind dieser liebe. daten fließen, informationen rasen, welt schrumpft. und ich? verstehe, aber begreife nicht. erfühle nicht.

er/sie denkt. an transformation. ökologische transformation mahnt. erinnert an grenzen. an verantwortung. digitale transformation hebt grenzen auf. zwischen kollaps und revolution. ist auch inflation der möglichkeiten. ermöglicht neue formen des kreierens, des arbeitens, des lebens. aber ich? verzweifle an der wachsenden komplexität. zu viel ist gleichzeitig. zu viel ist im fluss. zu wenig fixiert.

er/sie denkt. an die eigene freiheit. meine ist, ich kann entscheidungen treffen. ich kann ja sagen. ich kann nein sagen. immer. zu allem. zu jedem. jede wahl birgt konsequenzen. jede wahl birgt möglichkeiten. unsichtbar. unvorhersehbar. ist ein doppelschneidiges schwert – befreit und bindet zugleich. das glas kann halbvoll oder halbleer sein. meine entscheidung. entscheidungen – wie steine im wasser, wellen erzeugend, weitreichend. angst lauert – vor dem falschen schritt, vor dem irrtum, vor dem bedauern. das ist der preis für meine entscheidungsfreiheit. freiheit zur entscheidung ist kampf – zwischen mut und zweifel, zwischen herz und verstand. leben ohne wahl? unvorstellbar – denn wählen heißt leben, heißt sein, heißt werden.

er/sie denkt. an die vermeidung. um zu verhindern. die falsche entscheidung. die immerwährend drohende katastrophe. wenn sie näher kommt, ist angst. angst macht panik. panik macht klein. klein macht verlust. darum nur abschätzbares. überblickbares. risiko ist unwägbarkeit. lässt sich nicht messen. entzieht sich. der planung. der berechnung. ist dimensionslos. unfassbar.

er/sie denkt. an das scheitern. als schatten. folgt jedem schritt. lauert hinter jeder entscheidung. scheitern ist das echo einer wahl. falsch abgebogen. in dunkle gassen des vielleicht. wenn es passiert, ist stille. dann lärm. innerer lärm. vorwürfe hallen wider. selbstvorwürfe. scheitern macht klein. lässt zweifeln. an sich selbst. am urteilsvermögen. es ist menschlich, zu irren. doch schmerzhaft, zu akzeptieren. er/sie blickt zurück. sucht den moment. die eine sekunde, den einen gedanken. hätte anders wählen können. aber der weg war verschleiert. risiko war da, konnte nicht vermieden werden – unsichtbar, wie nebel im morgengrauen. entscheidungen sind sprünge ins unbekannte – manchmal landet man weich, manchmal hart. scheitern ist lehrmeister – grausam, aber gerecht.
und nein, ein scheitern ist nicht der auftakt für den nächsten sieg. scheitern ist immer total. immer. ohne wenn und aber. sonst ist es kein scheitern, sondern nur zäsur. nur zum hindurchgehen. nicht zum verweilen. ohne sinn. brutal. das ist scheitern. der preis der eigenen entscheidung. der preis der freiheit.

er/sie denkt. weiter – an freiheit, an entscheidungen, an das scheitern, an das eigene schicksal, an den eigenen lebensweg, an den tod, an den rückblick auf das eigene leben. an das große ré­su­mé.

Herr Graugans

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 16: Zeilentiger

Lange hieß es Heißtheke und ich fragte immer wieder mal, ob sie nicht eine Heißhungertheke daraus machen wollten. Ich hatte eigentlich gar nicht damit gerechnet, dass sie es wirklich umsetzen würden. So freut es mich aber.

Nicht, dass ich es jetzt eigentlich noch beachten würde, was denken Sie, und es wissen auch nicht viele davon. Sie sind ja der einzige – von vielleicht zwei, drei Freunden abgesehen –, dem ich dass aus Jux erzählt habe. Diese anonyme Verewigung, von der Heinrich Heine gesprochen hat, das ist doch das höchste Ziel.

Was sind dagegen schon meine Übersetzungen von Baudelaire oder Mandelstam beispielsweise. Und meine eigenen Bücher, die sind sowieso schon vergessen, auch wenn ich selbst ja noch lebe, irgendwie. Nein, mehr als diese Heißhungertheke kann ich nicht erwarten, literarisch zumindest.

Wenn man hier von literarisch sprechen kann.

*

Um 14.59 Uhr ruckelte der Zug, ein Knall wie beim Herausspringen einer Sicherung ertönte, dann waren die Lichter aus und die Belüftung stumm und der Zug rollte aus, bis er zum Stehen kam. Draußen fiel Schnee. Eine Kreuzung deutete einen Vorort an. Der Zug stand auf offener Strecke und auch ich stand im Nirgendwo eines Gangstückes von Hier nach Dort, eingekeilt zwischen anderen Menschen und wartete gemeinsam mit Hunderten anderer Menschen, auf eine Information, eine Erklärung, auf das Wunder einer Durchsage durch tote Lautsprecher. Die Luft wurde schlechter. In Hitze ersticken wäre hier wahrscheinlicher, als durch eindringende Winterkälte zu erfrieren, dachte ich mir.

Polizisten, mit angespannter Miene und barhäuptig im Schneetreiben, waren die ersten, die den Bahndamm entlangliefen. Später kamen routinierte Feuerwehrleute, ein Krankenwagen, eine Seelsorgerin in violetter Jacke – dünn, spitznäsig und bebrillt, als wollte sie ein Klischee bestätigen, von dem ich nicht weiß, wie es sich geformt hat – , ein weiterer Einsatzwagen der Feuerwehr, der den Zufahrtsweg jenseits der Bahndammhecke absperrte, endlich ein Leichenwagen und sogar die Presse. Mit uns, den Menschen im Zug, sprach niemand, während draußen Routinen abliefen für einen Fall, den sich niemand wünscht und mit dem trotzdem täglich Menschen konfrontiert werden.

Wir waren vergessen, fast jedenfalls. Einmal zwängte sich eine Zugbegleiterin durch die Waggons, sie öffnete hie und da ein schmales Kippfenster und rettete uns vor dem Ersticken, später kam denselben Weg ein sehr, sehr ruhiger, sehr höflicher Mann im Sakko und mit einen Funkknopf im Ohr, der mit seinem Sicherheitsschlüssel all jene Fenster öffnete, die die Zugbegleitern übergangen war. Irgendwann kam er zurück, blieb bei einer Mutter mit einem schreienden Kind stehen, er war ganz Ruhe und Präsenz, dann nahm er Konktat mit dem Kind auf, nahm es schließlich auf den Arm. Das Kind wurde ruhig wie der Mann und er stand einfach da und trug es und gelegentlich wanderte seine Aufmerksamkeit den Waggon entlang, wie um sicherzugehen, dass alles unter Kontrolle sei. Niemand fragte den Mann, wer er war, auch ich nicht, aber ich nehme an, er war ein „Springer“, ein Problemlöser, der mit heißen Reifen herangeschossen kam, um dann mit dem Puls eines Meditationslehrers durch die Tür des Zugführers eingeschleust wurde, um alles unter Kontrolle zu halten.

Drei Stunden nach dem Notstopp war unsere Evakuierung abgeschlossen, der Ersatzzug rollte los, der ruhige Mann war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Niemand in unserem Waggon hatte geschrieen in den drei Stunden, kaum jemand geflucht. Mit den Menschen, die neben mir gewartet hatten, fühlte ich mich verbunden, fühlte mich mit mir verbunden, fühlte mich als Teil der lebendigen Welt. Manchmal bringt der Tod Leben hervor.

Text: Zeilentiger

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 15: Christiane

Scheitern. Eine Katzengeschichte

Was ist das nun wieder, dachte ich, als Frau Graugans’ Aufforderung eintraf, über das Scheitern zu schreiben. Scheitern – wer definiert, was das ist? Es hat viel mit Ansprüchen zu tun, die einem von außen aufgedrückt werden. Wer sich dem mit einem gewissen Achselzucken entzieht – tue ich, klappt nicht immer –, lebt erheblich entspannter. Aber dann erwischte es mich: Sehr viel tiefer geht das Scheitern, wenn es die eigenen Ansprüche berührt, wenn es brennt, wehtut, verstört.

Vor einem guten Monat war ich mit dem Fellträger meines Herzens bei der Tierärztin. Er fraß nicht mehr richtig und schleppte sich immer häufiger nur noch durch die Wohnung. Seit ich mir im Frühling den Knöchel gebrochen habe, kommt mir das bekannt vor, aber irgendwann höre selbst ich auf, das als »Tagesform« oder »Na ja, er wird halt auch älter« zu bezeichnen. Katzen sagen ja nix. Ich sah also der Tatsache ins Auge, dass was passieren musste, in diesem Fall der Check bei der höheren Instanz. Er ist 13, ein Maine-Coon-Mix und hat bisher »Seniorenfutter« souverän verschmäht. Zu jung für Sorgen, oder? Nein. Nach den Untersuchungen kristallisierte sich heraus: Er hat nicht nur ein Nierenproblem (chronische Niereninsuffizienz, daran sterben Katzen früher oder später), er hat auch Arthrose, was wohl 90 Prozent der Katzen in seinem Alter haben und immer sehr schmerzhaft ist.

Schock. Bei mir kam primär an: Meine Katze hat schon länger Schmerzen (ganz furchtbarer Gedanke), und ich habe es nicht bemerkt, weil ich mich nicht genug gekümmert habe. Klar, auch Katzenleben sind endlich, aber das hatte ich bis dato ebenfalls verdrängt. Ich hoffte, ich hätte noch so 3 bis 7 Jahre Zeit, bis ich mich dem stellen müsste. Und neben der sofort einsetzenden Verlustangst – ich weiß genau, in welchem Ausmaß der Fellträger mein Leben zusammen- und aufrechterhält: Das letzte Kind hat Fell – überfiel mich auch das Gefühl, als verantwortlicher Mensch versagt zu haben, gescheitert zu sein.
Ich kann/konnte ihn nicht davor schützen, krank zu werden, Schmerzen zu haben. Na ja, beruhigte mich die Tierärztin, es ist noch nicht dramatisch mit den Nierenwerten, die Umstellung auf Nierenspezialfutter darf nur nicht aufgeschoben werden. Und für die Arthrose gibt es Tabletten, ist er schwierig mit Tabletten?

Ich habe immer ein Problem mit Hilflosigkeit/Willkür gehabt, ausgeliefert zu sein, jemand bestimmt einfach über meinen Kopf hinweg, was geschieht, und ich werde nicht gefragt. Es fühlt sich an wie ein Scheitern, etwas falsch gemacht zu haben, das Damoklesschwert nicht rechtzeitig abgewendet zu haben, nicht dafür gesorgt zu haben, dass alles »gut« wird, was immer das ist …

Es war ein beängstigendes Kaninchen-vor-Schlange-Gefühl, und ich habe mich wie Hölle da reingesteigert, ich konnte nicht anders. Hilfe, er stirbt! Ich habe die Angst zugelassen. Nach einer Inforunde im Netz habe ich entschieden, was nach seinem Tod mit seinem Körper geschehen soll, wann immer das auch passiert, und es hat mich unfassbar beruhigt.

Jetzt, Mitte Dezember, frisst er (widerwillig) Nierenfutter, aber er frisst. Meistens. Diät ist zum Glück kein Thema, er hat Idealgewicht. Die Arthroseschmerzen sind dank seiner täglichen Tablette (Hefeüberzug, er liebt sie) offenbar erträglich, an guten Tagen fordert er mich auf, mit ihm zu spielen, und springt wie Megakatz durch die Wohnung. Er (Freigänger) will wieder länger raus, und das ist bei Kälte/Nässe schon eine Ansage. Nein, ich packe ihn nicht in Watte, noch nie. Wenn er rausgeht und draußen vor ein Auto läuft, dann ist das so.
Es ist nichts, wie es war, auch er benimmt sich bedächtiger. Die Prioritäten haben sich geändert.

Es ist in diesem Monat bei mir innen angekommen, dass ich nicht versage oder scheitere, wenn ich das tue, was mir möglich ist, auch wenn ich meinem eigenen Anspruch (die zu schützen, die ich liebe, ob Mensch oder Tier spielt keine Rolle) nicht gerecht werde oder werden kann. Da gibt es diesen berühmten Spruch mit der Gelassenheit: Dinge hinzunehmen, die man nicht ändern kann, Mut aufzubringen, Dinge anzupacken, die geändert werden können (oder müssen), und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Meinem Katzenkind gegenüber bin ich jedenfalls in der Pflicht, und ich werde nach Kräften alles für ihn tun, bis ich ihn irgendwann ziehen lassen muss.

Text: Christiane

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 14: blumenleere

mutmaszungen ueber die freiheit des scheiterns, ein thema – ein impuls –, das – den – ich im ersten moment des lesens nicht wirklich begreife – aber, ob sich daran im laufe des nunmehr folgenden textes wohl signifikant etwas aendern wird …? (seid indes herzlichst eingeladen! – natuerlich lediglich versetzt –, einer moeglichst authentischen uebertragung meiner gewissermaszen echtzeitauseinandersetzung beizuwohnen); zugleich gestehe ich, ich behaupte dennoch minimal zu ahnen (hybris?/ein uebertrieben positives selbstbild, das zum festen glauben fuehrt, alles – sprich: jedes rezipierbare raetsel – liesze sich sicherlich, irgendwie, von mir loesen? allerdings: muss denn alles stets & omnipraesent ueberhaupt kategorisch aufgeloest werden koennen …? & bestehe nicht schlieszlich unser atmen aus einatmen, ausatmen & der stille interim …?) & greife komplementaer zurueck, auf eine mir relativ ueblich gewordene herangehensweise & weltanschauung: ich darf genau das, was mir sinnvoll & nuetzlich erscheint –, also nicht vollkommen verstehe – & ebenso wenig im zweiten & dritten anlauf; ich stolpere tollpatschig ueber meinen gedanken, scheitern verfuege – via den am eingang vorliegenden satz formuliert – im sinne einer eigenstaendigen entitaet ueber das konzept der freiheit –; mit ein grund, warum es – er – mich fasziniert & zum darueber meditieren anregt. ja, scheitere ich demnach (nicht)? bzw. erlebe – erfahre – ich freiheit, weil ich mir zugestehe, scheitern zu duerfen? oder erlebe ich das paradoxon am eigenen leibe, scheitern zum ziel auserkoren zu haben, es zu erreichen & just deswegen eben gerade nicht zu scheitern, oszillierend, zwischen gelingen & … aus spasz an der freude ein kurzer exkurs hin zur funktion des scheiterns per se – respektive der versuch einer knappen, ueberschaubaren definition: scheitern meine meiner ansicht nach das nichterreichen eines vorgefassten zieles, welches im augenblick des soeben als anhaltspunkt genannten nichterreichens noch in form eines akuten wunsches wirkung zeitigt. eine frage der haltung, der perspektive. waere mir demgegenueber immer & absolut der weg das ziel – der ambivalente, offene prozess; nicht das konkrete, hermetisch abgeriegelte ergebnis –, setzte ich die kriterien dergestalt, dass ein scheitern gar erst nicht eintreten koennte & dementsprechend bezueglich seiner bedeutung obsolet werden muesste. & tatsaechlich tendiere ich persoenlich zu dieser philosophie des wandels, die mir, mich kontinuierlich daran annaehernd, ein bisschen im konflikt mit meinem gesellschaftlichen – plus kulturellen – umfeld, nicht ununterbrochen zu vertreten gelingt, doch – wellenfoermig schwankend – zusehends. & so wage ich – nehme ich meinen mut zusammen, das mir passend anmutende masz anzulegen –, zu sagen: ein scheitern gebe es gar nie … &, stopp! wiederum paradoxerweise habe ich extreme unerreichbare pole, einen anfang & ein ende praesentiert, jedoch den notwendigen weg vom einen zum anderen ausgeblendet – jenen allumfassenden weg, der anfang & ende nivelliere …? –: den weg, zum beispiel, mir staendig aufs neue etwas vorgenommen & mitunter & meist nicht einmal annaehernd erreicht zu haben – & durch jedes scheitern gewachsen zu sein, ergo freiheit erlangt & mich internalisierter letztlich quasi ideologischer zwaenge entledigt zu haben, naemlich sowohl tendenziell meinen kontrollwahn aufzugeben als auch schlicht & ergreifend zu akzeptieren, der lauf der dinge hat nicht unbedingt mit meinen vorstellungen zu korrespondieren – &, dergleichen habe nicht zwingend damit etwas zu tun, ob ich gluecklich oder ungluecklich bin.

traeume: sublime energien, die uns, befreiend, gen unbekanntes bewegen. nicht: sture raster, die uns zum ausrasten bringen, sobald sie nicht deckungsgleich mit einer zur gegenwart werdenden zukunft sind …

Text: blumenleere

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 13: Tom Riebe

blick I

morgens stehe ich auf der brücke

werfe steine auf das dunkle eis

unter dem sich weiße

klar voneinander getrennte

amorphe schlieren bilden

die erst verharren

dann aus sich heraus zucken

ich beobachte ihre bewegungen

schaue

wie sie trachten

sich zu vereinigen

um der vereinzelung

zu entgehen

etwas größeres

zu werden

als ihnen bestimmt ist

bis zum abend

haben es nicht alle geschafft

trotz meines unausgesetzten blicks.

Text: Tom Riebe

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 12: Natascha Holterman

Alles seit je. Nie was anderes. Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“
Samuel Beckett

Anfang Oktober.
Frau Graugans erzählt mir von der Idee, die sie für ihre diesjährigen „Mutmaßungen“ während der Adventszeit hat: ums Scheitern soll es gehen.
Tolles Thema, entgegne ich, und denke an das Beckett-Zitat, dieses „besser scheitern“ sollte mal hinterfragt werden: gibt es da wirklich graduelle Abstufungen (gut scheitern, besser scheitern, am besten scheitern)?
Ich bin dabei, sage ich zu ihr, und ergänze, wenn es denn mal soweit sei, möge sie mir den 12.12. reservieren, das wäre ein passendes Datum aus meiner persönlichen Scheiterbiographie.

Anfang November.
Zwei von der WordPresse, mit denen ich befreundet bin, erzählen mir, dass sie von Frau Graugans eine Einladung zum 24 T.-Projekt bekommen haben. Öha, denke ich, jetzt wird‘s also konkret. Und es wird Zeit, dass ich mir Gedanken mache. Ich denke so vor mich hin und komme nicht besonders weit. Lediglich das „besser scheitern“ erschließt sich mir dank fortgesetzter Beckett-Lektüre.
In voller Länge liest sich das nämlich so:
Alles seit je. Nie was anderes. Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern. Erst der Körper. Nein. Erst der Ort. Erst beides. Jetzt das eine. Jetzt das andere. Übel von dem einen das andere versuchen. Übel von dem zurück von dem Übel. Und so weiter. Irgendwie weiter. Bis man keine Lust mehr hat, weder aufs eine noch aufs andere. Beides in die Höhe werfen. Wo auch nichts ist. Auch davon übel werden. Wieder hochwerfen, dann zurück. Wieder der Körper. Wo keiner ist. Wieder den Ort. Wo keiner ist. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Wieder besser. Oder besser schlimmer. Wieder schlimmer scheitern. Noch schlimmer. Endgültig übel sein. Alles endgültig hinschmeißen. Endgültig gehen. Wo endgültig nichts mehr ist. Gutes und so.“
Habe verstanden: mit „besser scheitern“ ist gerade nicht dieser Allgemeinplatz „Alles wird gut, man muss sich nur genug anstrengen“ oder der Schmarrn mit dem Schmied und dem Glück gemeint.
Jetzt samma beinand, Samuel.

Mitte November.
Ich frage Frau Graugans, ob sie mir auch eine Einladung schicken könnte. Spinnst jetzt? meint sie, es sei doch eh längst abgemacht, dass ich bei dem Projekt mitmachen würde.
Mir geht’s nur um die genaue Formulierung des Themas, erkläre ich mich.
Die nennt sie mir dann nochmal: Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns.
Ah ja.

Anfang von Ende November.
Längst tief drin in der Thematik, nur nicht auf die gewünschte Weise: ich bin dabei, bereits an der Überschrift zu scheitern. Unter „Die Freiheit des Scheiterns“ verstehe ich spontan jene Freiheit, die aus einem Scheitern resultiert. Kenne ich das, habe ich das erlebt, dass ich auf die Nase gefallen bin und mir das ein Gefühl von Freiheit beschert hat? Oder ist vielmehr die Freiheit zu(m) Scheitern gemeint, also dass ich mir jederzeit gestatten darf, Schiffbruch zu erleiden und damit kein genereller Untergang (der Sache, der Scheiternden, des Schicksalsdampfers) besiegelt ist?

Mitte von Ende November.
Immer noch nicht gescheiter, aber auch noch nicht gewillt, schon gescheitert zu sein, bevor es überhaupt losgeht. Der kleine Korinthenkacker in mir, der nach Präzision lechzt und das Kleinkind, das keine Themaverfehlung schreiben will, fragen bei Frau Graugans nach und bekommen die Antwort, die sie verdient haben: das Thema sollen wir doch einfach so auffassen, wie wir es verstehen wollen.
Wir können es kaum fassen, diese Freiheit.

Ende von Ende November.
Ein ehemaliger Kollege, mit dem ich viel Zeit in sehr harmonischer Bürozimmer-WG verbrachte, stirbt überraschend mit Anfang 60 und genau drei Wochen, bevor er in Frührente gehen wollte. Es verschlägt mir die Sprache, keiner der Sätze, die ich seiner Familie schreibe, gelingt mir zu meiner Zufriedenheit, schließlich schicke ich den gescheiterten Versuch eines Kondolenzbriefes ab.
Ich bitte Frau Graugans um einen späteren Abgabetermin meiner Mutmaßungen über die Freiheit des und/oder zum Scheitern/s.

Anfang Dezember.
Immerhin: während einer Einkehr bei einer ausgedehnten Schneewanderung ein paar Fragmente und Fragen im Notizbuch festgehalten, der Blick aufs viele Weiß war wohl erhellend.
Das Antonym zu Scheitern ist Gelingen: damit bin ich schon mal weg von dem Sieger-Verlierer-Zeugs, das ist gut so.
Bloß kein Anti-Leistungsgesellschaft-Aufsatz, dazu schreib ich irgendwann lieber ein ganzes Buch, Titel „Ekzema labora“ oder sowas in der Art.
Gelingen ist was anderes als Siegen, Scheitern was anderes als Verlieren.
Das Scheitern hat einen schlechten Ruf, es wird negativ bewertet und oft dramatisiert, aber warum eigentlich? Weil es vermeintlich offenbart, dass sich da jemand nicht genug abgestrampelt oder bemüht hat, zu untalentiert, unvermögend, ungeschickt war, kurz: es einfach nicht gepackt hat?
Spiegelt das Scheitern nicht eher die eigenen überzogenen Erwartungen oder die vermutete Bewertung des Selbst durch die Augen anderer wider?
Trägt Scheitern nicht wesentlich zur persönlichen Entwicklung bei, weil es einem die Einsicht schenkt, dass Versuch und Irrtum unerlässlich sind für echten Fortschritt?
Und wie spielt in all das nun die Freiheit mit rein? Entsteht Freiheit nicht überhaupt erst durch die Möglichkeit des Scheiterns?
Wenn alles vorgezeichnet wäre, also jedem immer alles gelänge, gäbe es ja keinerlei Entscheidungsfreiheit mehr, der freie Wille wäre redundant in einer Welt des ewigen Gelingens, denn das Subjekt würde sonderbar sattelfest durch seine festgelegte Schicksalsspur surfen, ohne Gegenwind und ohne Kentern und folglich ohne sich je aus den Untiefen der Lebensgewässer am eigenen Schopf mühsam wieder emporziehen zu müssen. Wo kein Absturz geschehen kann, da braucht auch kein Aufstehen gelernt werden, und nach einer Odyssee ungestörten und öden Dahingleitens rauscht das satte, saturierte, sonnenverwöhnte Subjekt, das nie einen Schatten sah, schon gar nicht den eigenen, eines Tages gegen seine Sargkante und fährt nur äußerlich etwas gealtert, aber ansonsten unbeschadet in die Grube.
Scheitern trainiert das Immunsystem der Psyche: versemmelte Prüfungen, verpatzte Chancen, vergurkte Vorhaben, versäumte Treffer/Treffen, verfehlte Ziele, verpfuschte Beziehungen, verlorene Lieben.
Versagt zu haben ist Gabe und Aufgabe zugleich: den Alptraum aushalten, bis das Aufwachen kommt, danach wird etwas ander(e)s sein, nicht besser, nicht schlechter, erstmal nur anders, und dem begegnet man nicht zwangsläufig stärker, reifer oder weiser durchs zuvor erlittene Scheitern, sondern ebenfalls erstmal nur anders.
Dieses „andere“ zuzulassen, obgleich ihm wiederum die Möglichkeit eines weiteren Scheiterns innewohnt – darin liegt eine Entscheidung für Freiheit, die man selbst treffen kann.

Für den 12. Dezember.
Heute vor 26 Jahren habe ich zum ersten Mal geheiratet, knapp fünf Jahre später hielt ich das amtliche Scheiterattest in Sachen Beziehung in den Händen: eine Scheidungsurkunde.
Ich wollte es damals so, und neben der Kündigung meines Jobs in der IT war es das einzige Scheitern, das mir anschließend eine Art von Freiheit bescherte: die Freiheit, Unpassendes hinter mir zu lassen und mich Neuem zuzuwenden. Gratis gab’s noch die Wahlfreiheit dazu: mich neu/anders/überhaupt entscheiden zu müssen bzw. zu dürfen – die Freiheit
von etwas hat ja nicht selten die Freiheit zu etwas gleich im Schlepptau.
Alle anderen Scheiterfälle in meinem Leben fallen unter völlig menschengewöhnliches Auf-die-Schnauze-Fallen, das mal üble Schürfwunden, mal bloß kleinere Kratzer nach sich zog.
Eine Sonderform des Scheiterns ist das Zuzweitscheitern, ihre etablierteste Ausprägung nennt sich Ehe. Freilich scheitert darin auch jeder jeweils für sich, doch das arg nahe und alltägliche Vorhandensein eines anderen verleitet gelegentlich dazu, diesem anderen mindestens eine Mitverantwortung am eigenen Misslingen zuzuschieben: mir ist das nur passiert, weil du […] / hättest du nur nicht […], wäre mir das sicher gelungen usw. – die Langzeitlebensgemeinschaftslädierten werden wissen, was gemeint ist, die Eheerprobten eh.
Eine der Ingredienzien einer gelingenden Beziehung ist, so ist‘s den meisten vermittelt worden, den anderen so anzunehmen, wie er oder sie nun mal ist, weil wir aber – dem lebenslangen Gescheitere sei Dank – auch Werdende sind und nicht nur So-Seiende, geben wir natürlich die Hoffnung nicht auf, dass alles – sogar man selbst und, ja: sehr gern auch der andere – sich ändern oder entwickeln könne oder würde oder gar wolle, und bis es soweit ist, scheitern wir immer wieder auch an der Annahme, dass die Liebe, deretwegen man sich ja mal zusammengetan hat, schon dafür sorgen würde, dass einem das mit dem Annehmen wechselseitig irgendwie gelänge und es gelingt ja manches Mal auch irgendwie.
In modernen Ehewerkstätten, in denen sich die Partner auf gleicher Hirn- und Augenhöhe begegnen, wird also gehobelt, die einen nennen es Beziehungsarbeit, andere sprechen von Quality Time, manche gehen zur Paartherapie, doch ganz gleich, auf welchen Namen dieses Kind, das jede Ehe hervorbringt, auch getauft wird: wo gehobelt wird, fallen Späne.
Manchmal sind es nur ein paar kleine Splitter, bisweilen wirft die ganze Hobelei auch beachtliche Holzstücke ab, im Laufe der Jahre türmt sich da jedenfalls ordentlich was auf in all den privaten Werkstätten, in die nur äußerst ungern oder erst dann, wenn einem der ganze Verhau komplett über den Kopf gewachsen ist, jemand Außenstehendes hineingucken darf.
Um jene Arbeitsräume vor der Verwahrlosung zu bewahren, empfiehlt es sich daher von Zeit zu Zeit, all die kleinen und großen Scheite, die das eheliche Scheitern so hinterlassen hat, vom Werkstattboden zusammenzukehren und sie aufzuschichten zu einem großen Scheiterhaufen, diesen gemeinsam anzuzünden und sich an seinem Feuer zu wärmen für die nächste Runde des Zusammenlebens.

Text: Natascha Holterman

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 11: Andrea Heinisch

Vom Scheitern

Ich bin so frei, habe ich gesagt, damals. Ich habe mich einfach an deinen Tisch gesetzt, weil dort grad niemand gesessen ist und weil du grad aufgeschaut hast, einladend, und gefallen hast du mir auch, verträumt, nein, versonnen, wie du warst, und gleichzeitig so konzentriert. Aufgespannt wie ein Regenschirm war ich, dabei hat es doch gar nicht geregnet, und dann bin ich Schlag um Schlag, wie eine kippende Dominoreihe bin ich gescheitert: an deinem Gesicht, wenn es mich wieder einmal nicht erkannt hat, an deinen Handbewegungen, wenn du noch schnell eine Notiz machen musstest, an deiner Stimme, wenn sie so achtlos an mir vorbei durchs Zimmer zog, als ob die Tür einen Spalt offen geblieben wäre und die Zugluft sie hinaus auf die Straße gezogen hätte. In die fremde Welt, habe ich gedacht. Ja, auch am geöffneten Fenster, durch das der Lärm der Stadt drang, bin ich gescheitert. Und an deiner Teekanne, der du ein Taschentuch umgelegt hast, damit sie nicht tropft (weint, habe ich gedacht), an den tausend kleinen Dingen, die du am Tisch liegen gehabt hast und stehen (wie eine Wehrmauer, habe ich gedacht), an dem halbvertrockneten Blumenstock vor dem Fenster, ob er noch lebt? An dem Bild, oben an der Wand, du weißt, welches ich meine, bin ich gescheitert und an der Kommode, auf der deine Bücher gestanden sind, Kafka vornedran. An ihm bin ich zuletzt gescheitert: Vorbei am Türsteher war ich nämlich drin im Gesetz und habe nichts gesehen: nur lange Gänge gab es da und Türen und Wände. Die Zimmer: vollkommen kahl. Vergilbte Tapeten, abgewohnt, schon vor langer Zeit verlassen. Da wusste ich mit einem Mal: Ich bin so frei. Da wusste ich, ich musste gehn.

 

Text: Andrea Heinisch
www.moosauer-hof.at

 

 

24 T – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 10: Carsten Kubicki

Wer nichts wird

In der Fußgängerzone wäre ich neulich fast jemandem begegnet, mit dem ich bis vor einiger Zeit noch – nun ja: befreundet wäre ein zu starkes Wort, gut bekannt trifft es eher -, also gut bekannt war. Ihn zu treffen und zu sprechen wäre mir jetzt indessen unangenehm. Die Gründe, die dazu geführt haben, möchte ich nicht näher darlegen, vielleicht nur soviel: Wenn man mit einem Paar befreundet oder gut bekannt ist und dieses Paar trennt sich im heftigen Streit, bleibt es nicht aus, dass man Partei ergreift für eine Seite und die andere meidet. Das ist übrigens genau der Satz, den ich mir zurechtgelegt habe für den Fall, dass ich dieser anderen Seite mal begegne und ein Gespräch unausweichlich ist. Neulich also wäre es fast soweit gewesen, wenn ich nur wenige Sekunden früher die Stelle passiert hätte. Vielleicht hätte ich kurz „Hallo A.“ gesagt und wäre weitergegangen, vielleicht hätten wir beide versucht, uns so gut es geht zu ignorieren. Oder es wäre eben zum Gespräch gekommen. Wäre, hätte. Oft ist Konjunktiv der bessere Modus.

Dieser A. sagte mal zu mir, als wir noch gut bekannt waren: „Wenn ich was mache, will ich darin der Beste sein.“ (Er hat in seinem Leben schon sehr viel unterschiedliches gemacht, Unternehmen gegründet und wieder geschlossen, indes nie etwas von langer Dauer. Seit geraumer Zeit ist er Gastronom, was mich nicht zu dem alten Spruch verleiten soll „Wer nichts wird, wird Wirt“, grundsätzlich genauso unzutreffend wie „Wer saufen kann, kann auch arbeiten.“ Ich schweife ab, Verzeihung.)

Leute, die so denken, tun mir ein bisschen leid. Der Beste zu sein scheitert zumeist daran, dass es immer wen gibt, der noch besser ist. Auch fehlt mir die Einsicht, was erstrebenswert daran ist, stets der Beste zu sein. Außer vielleicht, wenn es viele Bewerber um nur einen Job, eine Mietwohnung oder die Liebesgunst einer begehrten Person geht. Dann ist es ziemlich blöd, der Zweitbeste zu sein. In den meisten anderen Situationen genügt das völlig. Ich muss nicht Chef, der Schnellste, der Größte sein. Oder der Lauteste – manche scheinen ja zu glauben, wer am lautesten schreit, hat recht, alles unter 120 Dezibel ist gelogen.

Manchmal genügt mir der letzte Platz, insbesondere bei sportlichen Wettkämpfen, an denen ich mich, seit ich nicht mehr zum Schulsport gezwungen werde, also schon sehr lange nicht mehr beteilige. Mittelmaß sei meine Richtschnur.

Nun ist es nicht so, dass ich im Leben nichts erreicht hätte: diverse Prüfungen bestanden, sogar die praktische Führerscheinprüfung im ersten Anlauf, obwohl ich ungern Auto fahre und wohl ein ziemlich mieser Fahrer bin; einen angenehmen, gut bezahlten, nicht übermäßig aufreibenden Job; mannigfaches Liebesglück; eine sehr zufriedenstellende Wohnsituation. Anderes gelang nicht: Meine erste Buchveröffentlichung etwa war ein Flop, völlig zu Recht, wie ich rückblickend anerkenne. Immerhin, die letzten zwanzig Exemplare, die mir der Verlag vor der Eliminierung aus seinem Programm („Makulierung“ heißt das im Verlagsjargon) überlassen hatte und die ich in öffentliche Bücherschränke brachte, fanden noch Leser, oder wenigstens welche, die sie den Schränken entnahmen und danach vielleicht nach wenigen gelesenen Seiten wegwarfen oder unter zu kurze Tischbeine legten. (Weitere Veröffentlichungen waren auch nicht erfolgreicher, nur störte es mich nicht mehr.)

Dass ich bei einem Poetry Slam mal abgeschlagen auf dem letzten Platz landete mit meinem Text, das wurmte mich doch etwas, und ein ganz klein wenig wurmt es bis heute nach. Seitdem meide ich die aktive Teilnahme an solchen Veranstaltungen. Andererseits erscheint es mir ohnehin falsch, zu schreiben, um damit zu siegen. Gleiches gilt für das Singen: Als ich noch in einem Chor sang, war ich dankbar, dass wir uns, obwohl wir, bei aller Bescheidenheit, ziemlich gut waren, nie an irgendwelchen Chorwettbewerben beteiligten. Warum beim ESC die siegten, die siegten, konnte ich selten nachvollziehen. (Warum „unser“ Beitrag beim letzten Mal, diese zweifelhafte Schreirockband, den letzten Platz belegte, indessen völlig.)

Im Übrigen muss ich nicht ständig mit irgendwas beschäftigt sein, „Wer rastet der rostet“ und so. Es gibt keine Langeweile. Es gibt nur Momente, wo nichts zu tun ist. Im Nichtstun bin ich nicht der Beste, aber ziemlich gut.

Text: Carsten Kubicki

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 9: Ulrich Fentzloff

Anläßlich ihres 95. Geburtstages hatte Elsa all die Möbel ihrer Wohnung restaurieren lassen. Sie kam später ein ums andre Mal auf die Freude des Schreiners und des Sattlers zu sprechen, beide hätten noch nie vergleichbar schöne alte Möbel renovieren dürfen.

Unzählige Sommer hatte sie auf der Atlantikinsel Île de Groix vor der bretonischen Küste verbracht. Sie bewohnte dort, nach der Scheidung alleine, ein niedriges Steinhaus, welches ihr die Eltern vererbt. Zuweilen kam eines der Kinder zu Besuch.

Elsa wußte, was Liebe ist. Sie hatte geliebt, geweint und vergessen.

Während der späten Herbste und Winter pflegte sie in einem Hochhaus der Mailänder Peripherie im 22. Stock zu sitzen, Karten zu legen, zu rauchen und Chansons zu hören.

Sie hatte Musolinis Regiment, den zweiten Weltkrieg erlebt, Hunger und Knappheit der Nachkriegszeit, die Jahrzehnte wachsenden Wohlstands für die große Mehrheit der Bevölkerung. »Heute erscheint mir alles Geschehene«, geruhte sie auszuführen, »als Traum, welcher allmählich verblasse.«

Elsas Sohn wandte sich wiederholt gegen ihre Aussage, das Leben erscheine im Rückblick als die Aneinanderreihung einiger Illusionen. Er gab zu bedenken: »Aber Mama, Kriege sind kein Traum; Musolinis Camicie Nere, die Schwarzhemden, waren kein Traum, Deine Scheidung war kein Traum, Deine Einsamkeit hier im Haus auf der Insel oder im Mailänder Hochhaus –  kein Traum.« Sie winkte ab. »Geh mir weg mit diesen Dingen.«

Auf dem Sims draußen vor dem Fenster saß eine Amsel; die hatte keinen Namen, rauchte keine Zigaretten, würde niemals ein Steinhaus bewohnen auf der Île de Groix. Elsa wußte nicht, ob Amseln träumen können; allein, die Vögel  waren da, flogen weg, erschienen wieder – unbekümmert um die Menschen, die in ihren Zimmerchen säßen.

Elsa hatte einen Großteil ihrer Zeit auf Erden der Lektüre gewidmet – ohne irgend eine Absicht zu verfolgen; einfach wie ein Ast auf  Wassern zu treiben. Virginia Woolf und dem späten Hölderlin galt ihre Aufmerksamkeit im hohen Alter.

Elsa hatte Angst vor altersbedingten Zerrüttungen des Geistes, und vermochte doch wild und honigsüß zu lachen, zu weinen und ausgiebig vom Wein zu trinken, immer dann, wenn irgendjemand in ihrer Gegenwart resigniert die Schultern hängen ließ.

Sie war stets stilvoll gekleidet: Jeans; und mehr als elegant die schwarzen, immerzu schwarzen Rollkragenpullover (die sie auch im hohen Sommer trug); das lange, tief dunkelgraue Haar souverän geflochten.

Draußen die Welt sich unablässig veränderte, die Wetter in schmutzigen, ziegenkotbeschmutzten Mänteln, gleichermaßen jedoch im Brokat des Königs Salomo feierlich vorübergingen – wie die Eisenbahnzüge während ihrer Kindheit (Elsas Elternhaus hatte an der Bahnlinie nach Bologna gestanden); draußen wurden Fabriken gebaut und große Straßen  hineingezeichnet  in den Staub der Erde, draußen, extra muros, schritten schöne Frauen weinend durch die Straßen, draußen starben Kinder,  wurden Menschen gequält, fuhren weiße Schiffe aus den Häfen.

Elsa besaß nie einen Führerschein. Obwohl sie niemals  in ein Flugzeug gestiegen, wußte sie die unermeßliche Leichtigkeit zu empfinden des Wolken– und des Vogelflugs. Sie ahnte, daß am Ende eine einzige graue Feldsteinmauer ihr vor Augen stünde.

Elsa dachte, Poesie alleine würde alles überdauern, allen Untergängen widerstehn. Bezeugt wird indes, daß sie mit den Worten starb, sie habe die Tragödie des Lebens nie wirklich begriffen.

Text: Ulrich Fentzloff

24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 8: Timo Brandt

Sätze

Freiheit ist immer die Freiheit der Scheiternden.

Die Scheiternden fressen nicht ihre Kinder, sie horten Freiheiten, bis sie schlecht werden.

Wer hortet, hat entweder nicht zugehört oder zu sehr hingehört.

Wo man hingehört, das sollten nicht andere entscheiden und wenn die sagen: gescheitert, dann antwortet man: gescheiter. Jetzt weiter.

Die Show muss immer weitergehen und ist die Show das Scheitern?

Wenn das Scheitern nicht wäre, wo wären wir da (und wer?) Vermutlich drüber. Oder drunter. (Vermutlich mehr. Oder weniger.)

Man steckt ja nicht drin. (Es heißt ja nicht FrICHheit)

Wer scheitert, der*die steckt sich die Freiheit an wie eine Zigarette, tut einen Zug. Die Freiheit gehört eingeatmet, auch wenn sie uns umbringt.

Umringt von den Freiheiten anderer, scheitern wir an den anderen, scheitern wir an uns selbst und Ich ist ein anderer. Und nun zu etwas anderem:

 

Text: Timo Brandt, geb. 1992,
schreibt Gedichte, bisher sechs veröffentlichte Bände,
zuletzt „Nachumahmungen“, Aphaia 2023.
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