Ich stehe in der Küche und räume weg, was sich angesammelt hat, um ja keine kostbare Gesprächszeit zu vergeuden, während ein lieber Freund zu Besuch war. Unser Freund M. ist gerade wieder heimgefahren, nicht ohne vorher mitten in der Stube, an der Haustüre, vor dem Auto und dann auch noch mit schon laufendem Motor den Abschied hinauszuschieben, um das Beisammensein noch bis in die allerletzte Sekunde zu genießen … ja, bis auf bald, um Weihnachten herum, jaja, wir telefonieren bald. Servus, schön wars. Ja, schön wars. Wir haben gut gegessen und kannenweise Tee und Espresso getrunken und geredet und gelacht und geredet und sind irgendwann nachts ins Bett gefallen und haben beim Frühstück da weitergeredet, wo wir in der Nacht aufgehört hatten. Unsere Gesprächsstoffe sind ausufernd und ohne Begrenzung, es kommt alles darin zur Sprache, Kunst, Philosophie, Politik, Krankheit, Tod, Leben. Ich teile mit ihm die nahezu fanatische Liebe und den Kampf gegen Windmühlen für die Erhaltung der bairischen Sprache mit ihren unzählbaren örtlichen Dialekten und unser Herz schlägt für die Mundart, wo sie auch gesprochen wird. M. ist einer der letzten Menschen, die noch den leidenschaftlichen Mut aufbringen, in München, der bairischen Landeshauptstadt, münchnerisch zu reden, die Stadtsprache im bairischen Deutsch.
Herr Graugans teilt mit ihm die Passion für die Fotografie, für M. ist es noch mehr, sie ist sein Leben und schon deshalb steht sie mit allem, was gerade an Projekten läuft, im Mittelpunkt all unserer Begegnungen. Er spricht über sein neues Buch und Herr Graugans über seine neuesten Experimente mit Cyanotypie und wie er sich diese Technik angeeignet hat . Auch das Projekt 24 T. das ab 1. Dezember hier auf meinem Blog zwischen Himmel und Erde stattfindet, kommt zur Sprache. Herr Graugans und ich zeigen ab nächsten Sonntag bis zum 24.12. täglich unsere Arbeiten.
Müde bin ich, so ein intensives Zusammensein ist freudig, aber auch anstrengend. Als M. dann lächelnd und winkend seine Heimreise antritt, denke ich an Carsten, der heute einen Brief an seinen Freund geschrieben hat, einen letzten Brief hat er ihm nachgeschickt auf seine letzte große Reise. Ein Herz voller Liebe hat er hineingelegt, um dem Freund den Weg leicht zu machen und ein Licht der Dankbarkeit für das Glück, ihm begegnet zu sein hat er ihm angezündet, damit es hell ist, dort, in dieser anderen Welt.
Es liegt alles so nah beieinander. Wir können glücklich sein über Begegnungen, die uns Freude bringen und das Leben reich machen. Und es berührt mein Herz und mir ist, als wäre noch nicht alles verloren, solange es Menschen gibt, die ihren Freunden Dank und Liebe nachschicken, wohin auch immer sie gehen.
Und jetzt fällt mir ein, daß ich vergessen habe, M. einen Lieblingsspruch aus dem Buch eines seiner Lieblingsschriftsteller, das ich grade lese, mitzuteilen:
(Er trifft in diesem Roman in Lissabon auf irgendeinem Platz seine Mutter, die aber schon 10 Jahre tot ist.)
„Etwas, John, darfst du nicht vergessen, und du vergißt ja so schnell. Die Toten bleiben nicht in ihrem Grab, das mußt du wissen.“
aus: John Berger: „Hier, wo wir uns begegnen“
Liebe Frau Graugans,
wollte den Beitrag liken, aber leider funktioniert das nicht. Bin gespannt auf das Projekt 24 T,
LG eva
Herzlichen Dank für die Erwähnung!
Wieder ein wunderschöner Beitrag von Dir! Die Freundschaft! Der Abschied von einem alten Freund! Gibt es einen Link zu Herrn Graugans? Ich möchte da gerne mal reinsehen, nur als Abstecher, meine Hauptquelle bleibst Du.