Der Eiszapfen am Zeiger der Kirchturmuhr ist lange schon geschmolzen, er hat die Zwischenzeit angezeigt … die müssen wir jetzt wieder selber suchen.
Der rote Kater Willie liegt in der grellen Frühlingssonne vor dem Haus auf dem Tisch. Als ich mich hinsetze kommt er gleich näher und lehnt sich schnurrend an meinen Arm. Kater Herbert sitzt vor mir auf dem Boden und entscheidet nach längerem Nachdenken, daß er nicht auf den Tisch springt, weil da der Andere liegt. Er bleibt am Boden und lehnt sich an mein Bein. So sitzen wir und schauen vor uns hin.
Langsam geht die Arbeit voran, all das, was von den Bäumen gefallen ist, einzusammeln. Das Kreuz tut mir weh vom ständigen Bücken. Halbe Wälder haben Schneedruck und die Stürme abgeknickt und ausgerissen. Wir haben so um die zwanzig Obstbäume, drei große Birken, eine Kiefer und allerlei Gebüsch und überall, wirklich von jedem Baum ist was runter gefallen oder abgeknickt und liegt in größerem Geäst und Gezweig irgendwo in den Wiesen herum. Dazu noch soviel Laub wie nie, so erscheint es mir zumindest. Das Laub könnte man normalerweise liegen lassen, aber nicht das ganze Holz, denn es muß ja gemäht werden. Unter dem Nußbaum werden die Haufen immer größer, die ich zusammenreche und herumschiebe. Und dann, als mir alles zu viel wird und das Verzagen mir über den Rücken kriecht, denke ich an Beppo Straßenkehrer: … ein Schritt ein Atemzug, ein Besenstrich … und auf einmal unter dem ganzen Laub verborgen strahlen die blühenden wilden Schneeglöckerln heraus, was für eine große Freude!
Zum ungünstigsten Zeitpunkt, heute um 16.30 Uhr Termin mit Kater Herbert im Tierärztezentrum. Der Herbert schreit und maunzt ab dem Zeitpunkt, wo er in den Transportkorb muß. Dummerweise muß ihm ein zweites Mal Blut abgenommen werden, weil irgendwas schiefgelaufen ist mit irgendwelchen Utensilien oder mit unklaren Angaben, ich höre ihn laut schreien und jammern und rege mich solidarisch mit ihm auf. Wir fahren heim und Herbert ist sofort ruhig, als wir im Auto sitzen. Im Gepäck das teure Medikament und den Verdacht vom freundlichen, aber ziemlich gestresst wirkenden Arzt, daß wahrscheinlich dagegen eine Allergie vorliegt. Ja, die Vermutung hatte ich auch schon, aber leider gibt es kein anderes Schilddrüsenmedikament in flüssiger Form. Tabletten akzeptiert Herbert auf keinen Fall und so bleibt es erstmal bei dieser Medizin. Ja, natürlich wäre alles leichter, wenn der Herbert ein Hund wäre, dem Menschen bedienungsfreundlich und entgegenkommend domestiziert, dann täte er brav den Mund aufmachen und sich die Tablette geben lassen. Nicht so aber der Herbert, der ist ein Katzenwesen und entscheidet nach eigener reiflicher Überlegung in seinem Tempo, was die Wildnatur an Akzeptanz erlaubt und was nicht. Die flüssige Medizin ist süß, sonst wär da nichts möglich. Ich erkläre dem Doktor, daß ich das sehr genau weiß, wie sich auch schon der kleinste Verdacht einer Fremdbestimmung auf das Gemüt einer Raubkatze auswirkt, ich hätte schließlich auch eine Löwin in meinem Inneren…
Als wir wieder daheim sind und die Verbände abfallen von den lädierten Pfoten, hat der Herbert erstmal die Schnauze voll und verschwindet.
Vor ein paar Tagen geisterte eine Nachricht durch die Medien, die mir sehr zu schaffen macht. Irgendwer hat irgendwo und irgendwann aufgedeckt, daß Otfried Preußler nicht nur in der Hitlerjugend war sondern auch in der NSDAP und auch noch zu allem Verdruß nicht nur ein begeisterter Nazi war, sondern auch noch ein Buch darüber geschrieben hat, damals, mit ungefähr 18 Jahren. Er ist 1923 geboren, zwei Jahre älter als mein Vater, der auch mit 18 in den Krieg musste. Ich hatte Glück mit meinem Vater, der war ideologisch nicht gefährdet und er hat ein Leben lang gegen alles diesbezügliche braune Gedankengut gekämpft, vor allem bei seinen Freunden. Die waren mit ihm im Krieg und haben behauptet, daß es keine KZ gab.
Es sind immer die gleichen Fragen, warum jemand da anfällig ist und jemand anderes nicht.
Für mich ist es einfach unverständlich, warum Preußler ein ganzes langes Leben bis zum Tod geschwiegen hat. Ich halte es für absolut richtig, daß das Otfried Preußler Gymnasium in Pullach bei München seinen Namen sofort ändert.Und ich hoffe, es wird noch viel diskutiert und aufgedeckt darüber. Es gibt einen Film von Thomas von Steinäcker : „Ich bin Krabat“, und ich werde versuchen, diesen irgendwo zu finden. „Krabat“ ist eines der drei Bücher, die ich im Leben am öftesten gelesen habe, meist dann, wenn ich in einer hoffnungslosen Situation am Abgrund gestanden bin. Meisterhaft ist das, was Preußler da aus dieser alten sorbischen Sage geschaffen hat. Ich liebe dieses Buch, unzählige Male war es mir Retter aus der Not. Es könnte sein, daß er es auch für sich selbst geschrieben hat, als Erklärung … ist es seine eigene Geschichte?
Es ist deprimierend und ich muß noch viel darüber nachdenken. Alles sehr schwierig. Die Frage, ob es das Werk eines Menschen losgelöst von ihm und seiner Gesinnung gibt, existiert es in einem anderen Raum?
Wie schon gesagt, ich hatte Glück mit meinem Vater.
Aus den Tiefen des Netzes fällt mir ein Zitat entgegen:
„If you don’t become the ocean, you’ll be seasick every day.“ (Leonard Cohen)
Und da zieht sie ihre Bahnen
Du gute Löwin …
Servus, Du wilder Wassermann!
Liken geht nicht, aber vielleicht ja kommentieren.
Deine Info, dass Preußler ein Faschist war, schockiert mich genauso wie damals, als ich erfuhr, dass auch Emil Nolde ein solcher gewesen ist.
Auch wenn deswegen ein Bild oder ein Buch nicht schlechter ist, bekommen sie ein ‚Geschmäckle‘. Traurig …
Liken müßt schon gehen, bitte versuchs nochmal!
Mich bringen solche Nachrichten auch ganz aus dem Häusl, wobei für mich nicht das Schlimmste daran ist, daß ein 17 jähriger Bursche in so ein schlimmes Fahrwasser gerät, sondern, daß er all das so geschickt verpackt in Geschichten, daß ihm niemand am Zeug flicken kann und er jeglicher Konfrontation aus dem Weg geht.
Ich vermute, jetzt werden wieder alle auf die böse Cancel Culture schimpfen, siehe Aiwanger & Co.