24 T. – Mutmaßungen über meine Mutter,Tag 23: Margarete Helminger

Eine zugesagte Textarbeit ist leider bis jetzt nicht bei mir angekommen, deshalb würde eigentlich heute die 23. Türe leerbleiben, aber es ist mir eine Geschichte zugetragen worden, die mich sehr tief berührt und die heute ihren Platz hier bekommen soll, heute, wenige Stunden vor der Heiligen Nacht, die man auch die Mütternacht nennt.

Vor einer Woche bekam ich einen Kommentar zugeschickt, der sich auf den Text „Es ist einmal  im Leben so“ bezieht, den ich hier am 7. April 2016 geschrieben hatte. Herr Michael Anton schreibt:

1946 im Viehwaggon aus meinem Geburtsort Karlsbad verfrachtet, das bin ich auch, allerdings in den Westerwald, nicht nach Bayern, Von daher waren wir mit Sicherheit nicht im gleichen Waggon, Aber in einem der beiden Zwischenlager vorm Abtransport, Meierhöfen I und II, könnten wir uns über den Weg gelaufen sein. Ich war allerdings erst sieben, tagsüber waren wir Kinder zwischen den ehemaligen Wehrmachts-Baracken uns selbst überlassen, irgendeine Art von Aufsicht wird’s schon gegeben haben, aber ich kann mich nicht erinnern, Die arbeitsfähigen Jugendlichen und Erwachsenen (außer den Alten wie meine Oma) mussten zum Ziegelklopfen und Ruinenräumen in die Stadt (auch auf Karlsbad waren einige Bomben gefallen). Jahrzehnte später erwähnte meine Mutter mal, wie die sie bewachenden ‚Revolutionsgardisten‘, mit MG bewaffnet, immer wieder die Attraktiveren unter den jungen Frauen und Mädchen herausdeuteten und hinter die Ruinenmauern führten. Aber ich habe einen Abend in Erinnerung, da hatten sich viele in der Waschbaracke versammelt, ich und ein paar andere Knirpse im Schulkindalter standen auf irgendwelchen Vorsprüngen, Fensterbänken oder an die Wand geschobene Tische. Die Waschbaracke hatte keine Wandwaschbecken, wie wir sie normal kennen, sondern über den Raum verteilt waren mehrere runde “Brunnen‘, jeder mit einer Säule in der Mitte, aus der Wasserhähne ragten. So konnten sich im Krieg viele Soldaten gleichzeitig waschen. Zwei von den jungen Männern, die aus irgendwelchen Gründen nicht deportiert oder den Russen überlassen worden waren, sondern mit ‚ausgesiedelt‘ wurden, hatten Mundharmonikas und spielten, was das Zeug hielt. Ich verfügte da weder über die Begriffe noch ein Unterscheidungsvermögen, Foxtrott sicher, Walzer /aus dem ‚Weißen Rössel‘ vielleicht, wer weiß?). Und die Erwachsenen hatten sich zu Paaren gefunden, viele Frau mit Frau natürlich, tanzten, lachten, scherzten, drehten sich im Takt, als gebe es kein Grauen, und in meiner Erinnerung haben sich die umrahmenden Locken und das strahlend offene Lächeln eines jungen Frauengesichts eingebrannt, als wäre ich in der Waschbaracke voller Harmonika-Töne, nach über 75 Jahren. Es wird kaum Ihre Mutter gewesen sein, aber was Sie berichten, vom ‚Licht durch die Hölle tragen“, da klingen die Stimmen zusammen, meine ich.

„Da klingen die Stimmen zusammen“ …  ja, das tun sie. Als ich diese irritierend bezaubernde und traurige Geschichte gelesen hatte, bin ich vollkommen fassungslos hinaus in die Nacht gelaufen und habe zu den Sternen hinauf meiner so sehr liebgehabten Mama Rotz und Wasser nachgeweint, die so ein strahlend offenes Lächeln hatte mit ihren damaligen zwanzig Jahren. Kein Zweifel, daß sie es war… nein, kein Zweifel. Was ist schon die Wahrheit? Einer erinnert sich 75 Jahre an ein Gesicht… genauso ein Gesicht hatte meine Mutter, wer sie sah konnte sie niemehr vergessen… weder ihr Lachen, noch den Glanz in ihren Augen. Und die Wahrheit … ach … das Gegenteil von allem ist ja auch wahr, oder?

Mit dieser Geschichte beende ich hier dieses Projekt. Aber, Ihr Lieben da draußen, kommt doch bitte morgen auf einen Sprung vorbei, für die letzte Türe hab ich vorgesehen, daß wir uns hier zwischen Himmel und Erde nochmal versammeln, ich möchte mich bedanken bei Euch und ein paar Worte zu Euch sagen, bevor alle sich auf den Weg machen und meine Bühne wieder luftig und leer sein wird.

Bis morgen!

11 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über meine Mutter,Tag 23: Margarete Helminger

    1. Ja, liebe Elke, das macht mich glücklich, wenn ich auf Menschen treffe, mit denen es gelingt, diesmal ist ein schon fast magisches Zusammenfließen der Kräfte spürbar. Viel Sehnsuch und noch viel mehr Liebe.

  1. Würde sagen, das ist so etwas wie der Dank, der unerwartet kommt, und doch dir gilt, Margarete, weil du immer den Menschen suchst, was du auch tust. Das gefällt mir. Andi

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