24 T. – Mutmaßungen über meine Mutter, Tag 11: Ulrich Fentzloff

Das Wandgemälde in seiner Würde
in memoriam Else Karoline Fentzloff, geb. Kohler (1921-1968)

I
Wetter, Briefträger und Boten, wehen Deine Stimme her,
Wetter tragen das Gewand von Heimatlosen, verweinen
Über Weinbergscherben sich, wo wilde Ranken,
Starenschwärme, die Ordnung kreuzen der Rebe
Auf Mauern gestempelt, schwarze Briefmarken, die Fensterhöhlen
Durch den Türspalt streicht, den Geruch der Weltalter im Fell, der Dachs

II
An Schlehen, Küsten, wolkenverschüttet, am Insektenpfad entlang,
Unter dem Holunder hin führte Dein so wundgequälter,
Zuzeiten indes von milderem Licht überglänzter Weg

III
Ich erinnere die Jahreszeiten, die ich an Deinem Sterbelager zugebracht;
Sterbelager das wie eine Insel draußen hinterm Bahndamm lag;
Darumher, verdämmernd, der Küchentisch, an dem wir Kinder aßen
Birken später um Dein Grab; auch ein Kelch gewissermaßen
Hohes Gras mit Unheil kündenden Mücken

IV
Eines grauen Abends, Leinwände des Regens in langer Reihe aufgestellt,
Fuhr ich am Lastkran eines Hafens, allein im Auto, still vorüber.
Ich erinnerte die Weite Deines ganz und gar verträumten Sterbens,
Eines Sterbens, das ich nie vergäße, das wie ein Gemälde
Von der Farbe der Kamille, der Farbe dazuhin des Schnees
Neben unsrer Eingangstür sich fände

V
Dein Tod vorzeiten war mir stets ein Heiligtum, Imperium zugleich;
Ein Tod von solcher Macht, gleichwohl verträumt. Freche Tauben
Hatten Nähte aufgerissen, Gräten aus dem Fisch gepickt; Zitat,
Das auf einer Straße lag, die gen Osten wies
Wo immer ich mich aufgehalten – ich habe Deines Sterben überall gedacht:
In Hotelzimmern der armen Welt; Zimmern, die auf Meere zeigten,
In Kammern, die an Ägyptens Schrift des Todes denken ließen

VI
Der Tag zeigt meinen Augen Nichtigkeiten eines Menschentreibens,
Das, ein Stieglitz, meskalinverwirrt, durch Birkenwälder irrt.
Ihr Wälder um ein Sarajewo her! Meeresgrund vor Kopenhagen,
Mit seinen Kähnen, versunkenen Kähnen.
Auf allen Kontinenten ist das Brot verseucht.
Im Dasein all der Armen finden Spuren sich von Gift.
Wir wissen nicht, wann Kriege wiederkehren, wann unsre Kinder
Eisigkaltes Wasser aus Krügen trinken würden, die zerbrächen

VII
Ich streife, Deiner mich erinnernd, durch die Gassen,
Verliere mich in Gärten, begegne dann in Winkeln unsrer Höfe
Einer unbestimmten Waldrand-Angst. Luftschutzkeller,
In welchen wir uns späterhin, die Irdischen, die Toten,
Wiedersehen würden; Luftschutzkeller von Mündern
Geküßt septemberlichen Regens

VIII
Du knietest oft an Straßenrändern,
Das Leben, das Du dort verloren, wie Münzen einzusammeln.
Mehr als einmal fragtest Du, ob der Regen taugen würde für die Toten;
Daß sie Mäntel hätten, die sie schützten nachts

IX
Dein heimlich Hingehn an der Partitur entlang von Weinbergmauem.
Und diese Deine wohin ausgestreckte Hand.
Es war ein leises Hiergewesensein; ein Hiergewesensein vor Tempelmauern.
Trunkenheiten fochten Dich nicht an.
Tiefstes Weiß dagegen unter Augenränder geschrieben
Der Turmuhr

X
Von der Krebsbaracke, wo Du die Augen geschlossen,
Nicht sehr weit entfernt, im Park, habe ich die großen Romane
Gelesen des Zwanzigsten Jahrhunderts
Längst verblaßt, wie alles nur von Hand Geschriebene, solch späte Sommer

XI
Durch Dörfer streunt der toten Mutter Antlitz
Ich möchte dieses Dorf nie mehr verlassen müssen,
Möcht in seiner Seele da sein dürfen,
Das schöne alte Haus der Bücher dort bewohnen,
Im roten Sessel ausharren, vor mich hindämmem und
Lange lange in Deinen Büchern lesen
Abends in einer Seitengasse mich verlieren,
Das Dunkelgrau anstaunen jener Wolken,
Die mein Flußdunkel je noch verfinstern

XII
Das Mäntelchen der Tage, schmutzig und verknittert sehr,
Scheint viel zu leicht, zu bunt für diese Monate des Frosts.
Zahnlos auch der Greisenmund von Nachmittag.
Niemand wirklich ahnt, wie Verwesung und wie Tod
Tatsächlich schmecken möchten

XIII
Dein Sterben wie schwarzer Hufschlag
Ewig durch die Kinderzimmer hallen würde,
Kinderzimmer, die wie ein Fabrikhof düster

XIV
Einmal wollte ich Dich fragen, Mutter, ob ich den Fluß hinauf
An Deiner Seite gehen, und die Pferde anschaun dürfte,
wie die erhaben in der Koppel unter barocker Decke
Eines Abendhimmels frören
Am Oberlauf des Flusses ein Klang geboren würde
Der Oboe im Zelt der toten Frau. Ankunft
Einer unbestimmten Heiterkeit von irgendher.
Der Schwalben Eintauchen in Zahlenrätsel
Hinter der zerfrorenen Kastanie
Lächeln, das wie Neuschnee auf den Dächern einer nie besuchten Stadt;
Lächeln, das der Name eines Flusses wäre, der durch mich und alle Täler flösse;
Fluß, dessen Hiersein ich seit jeher ahne, den ich bislang noch nie gesehn

XV
Gib, die du mir die Welt eröffnet, zwei Briefumschläge voller Schlaf

Text: Ulrich Fentzloff

3 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über meine Mutter, Tag 11: Ulrich Fentzloff

  1. Gelesen im Jahr, indem mein Vater starb …. sein langes Sterben vollendete… möchte ich ebenfalls Danke sagen, wie meine Vorkommentatorin.
    (leiser symbolischer Applaus/gedacht, um die Wirkung der Worte nicht zu zerschlagen)

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