24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 6: Elke Engelhardt

Mutmaßungen über die Freiheit zu scheitern

Der Regen fällt. Er fällt, weil es ihn erleichtert. Er fällt, weil er leicht genug ist, um sich fallen lassen zu können. Was für ein Rausch, denkt er. Und dass alles eitel ist. Das steht bereits in der Bibel, in der auch der Regen eine gewisse Rolle spielt. Auch der Regen ist eitel. Tropfen für Tropfen der Versuch, sich auszuzeichnen. Ein Verbrechen ist das nicht. Nicht einmal eine Sünde. Aber auch nicht so schön, wie zu scheitern, nicht so erleichternd.

Die Erleichterung von dieser sehr beschwerlichen Bemühung, nicht zu scheitern, das Scheitern zu vermeiden, und damit nicht nur die Beschämung  sondern auch die Genugtuung derjenigen, die schon immer wussten, dass wir das nicht können. Eine Schwierigkeit, die verhindert, dass wir beschwingt durch die Gegend laufen, oder auf unsere eigene unnachahmliche Art und Weise vom Himmel fallen.

Stattdessen die Schwere im Glassarg, in dem Schneewittchen liegt, unfähig sich zu bewegen, nicht einmal mit der Möglichkeit versehen, die Augen zu öffnen. Und die Zwerge, die es doch eigentlich gut meinen mit ihr, haben nichts Besseres zu tun, als sie den Blicken aller auszusetzen.

Denn leider kann man Schwere nicht teilen. Nur abwerfen. Und so muss auch Schneewittchen in ihrem Sarg stolpern und fallen, um wieder die zu werden, die sie einmal war. Also eine, die verstoßen und verfolgt wurde, und dann Freunde fand, die sie aber nicht beschützen konnten. Und für die jetzt angeblich alles gut ist, weil ein schöner Prinz daherkam und Schneewittchen heiratete.

Ich weiß nicht, ob ich das Märchen von Schneewittchen jemals mochte. Vielleicht nur den Anfang, Bluttropfen und Ebenholz, der Wunsch, Schnee, und eine nähende Frau am offenen Fenster. Und ihr Scheitern. Denn wäre sie geschickt gewesen, hätte sie sich nicht gestochen. Und es hätte kein Schneewittchen gegeben. Sondern stattdessen eine der unendlich vielen Geschichten vom Scheitern weniger.

Text: Elke Engelhardt

2 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 6: Elke Engelhardt

  1. Ich habe das Märchen von Schneewittchen nie gemocht.
    Auch andere nicht, in denen weibliche Solidarität Fehlanzeige war und erst die Männer die patriarchale, universale Ordnung wiederherzustellen in der Lage waren. Vielleicht kam das davon, dass ich als Hans(-Joachim) immer auf der Suche nach dem Glück war. Andererseits liebe ich den Regen und als Kopfbedeckung den Schirm.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.