24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 1 : Margarete Helminger

Heute beginnen die „24 T. – Mutmaßungen“… und ich sitze da, es ist schon halb drei Uhr und ich habe noch immer keine Einleitung für das selbst ausgedachte Projekt über das Scheitern. Es ist ein ähnlicher Zustand wie bei unseren Hoffesten früher. Ich habe mir meistens große Kostümbälle ausgedacht, viele Menschen eingeladen, monatelanges Vorbereiten, viel Arbeit war erforderlich, um die Scheune als Ort für geselliges Beisammensein herzurichten, Tanzboden, Essenkochen, und alles, was halt dazugehört, um allen eine wundervolle Mittsommernacht zu bereiten. Bis zum Schluß war ich beschäftigt, die Bühne zu bereiten für die Gästeschar, Tische und Raum schmücken, Essen und Trinken anzuschleppen … und plötzlich kamen alle, prächtig kostümiert und in Festlaune und ich hatte ganz vergessen, mich selbst zu verkleiden, ich stand da, verschwitzt und im Arbeitsgewand und hatte nur noch Zeit, irgendeinen Hut aufzusetzen.

Grade bis vorhin habe ich die neu eingesendeten Texte zwischengeparkt und die Wünsche nach den Unterschriften und diversen Links vorstellungsgemäß zu erfüllen versucht, dann kam ein Seufzer aus Wien: „Ach liebe Graugans, wenn Du wüsstest, wie ich um Worte ringe!“ Liebe Silvia, da kann ich Dir die Hand reichen, ich ringe auch.

Zur Freiheit des Scheiterns fällt mir auch erstmal nur ein, daß die Freiheit und das Scheitern gar nichts miteinander zu tun haben, wer nimmt sich schon die Freiheit zu scheitern in einer „Welt der Sieger“ (Dorothee Sölle). Das Scheitern passiert ganz von alleine, wie der Unfug beim Michel von Lönneberga, nur meist weitaus weniger romantisch. In einer Welt der Sieger , in „A Man’s, Man’s World“ ist der Erfolg so wichtig, daß alles, was nicht dazu führt, unweigerlich als Versagen und Scheitern gewertet wird und dementsprechend verpönt ist.

Ich finde, es gibt nichts Langweiligeres als erfolgreiche Männer und ihre Aufstiegsgeschichten. Mich hat es lebenslang immer zu Menschen hingezogen, die fernab der vorgegebenen Normen ihr Dasein gefristet haben und keine Erfolgsbilanz vorweisen konnten, sondern Brüche und Einschläge und Niederlagen … ich will keinesweg damit sagen, daß dies die besseren Menschen sind, aber allermeistens die interessanteren.

Grade habe ich erfahren, daß meine eingereichte Zeichnung/Textarbeit bei der Zeitung „Prolog“ abgelehnt wurde. Ja, schmerzt schon, aber nur ein wenig.

Dieses 24 T. – Projekt  mit diesem Thema mache ich hauptsächlich, weil es mich interessiert, was andere da draußen darüber denken und ich bin sehr gespannt auf die Texte. Im Moment schauts so aus, daß die Hälfte der Angefragten glücklicherweise schon was geschickt hat, ob alle in der zweiten Hälfte das genauso machen, ist noch nicht restlos geklärt, es bleibt also spannend! Aber genauso will ich es ja haben und das Wunderbarste an so einer Gemeinschaftsarbeit sind ja die Kontakte zu den Schreibenden und: daß es mir als leidenschaftliche Spurensucherin gelungen ist, die Fährte zu mehr oder weniger verschollenen Bloggern aufzunehmen. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, was noch so alles auf dieser Bühne zwischen Himmel und Erde passiert, ich freu mich riesig und bedanke mich schon mal vorab bei allen Mitwirkenden!

Noch ein Hinweis für alle, die ähnlich filmbesessen sind wie ich:

Es gibt da einen Film „Kleine Fluchten“, Schweiz 1979, Regie: Yves Yersin – der erzählt eine ganz kleine Geschichte von dem Knecht Pipe (Michel Robin), der in den Ruhestand gehen will und sich Träume erfüllt, die scheitern, wie alles in diesem Leben. Aber seltsamerweise ist er ganz und gar nicht unglücklich darüber, ganz im Gegensatz zu allen anderen um ihn herum, da bricht alles auseinander, was man zwingen wollte, zusammenzubleiben. Ein Film, der mir schon das Leben gerettet hat, der weit über das hinausgeht, was ein Film leisten kann. Eine Herzensangelegenheit. „Clini Sprüng“ heißt er im Original.

4 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 1 : Margarete Helminger

  1. Ich ahne sofort, dass ich auch diesem Filmtipp gerne folgen möchte – dein letzter hat mich dann so ‚mitgenommen‘, berührt …

    Auch ich bin sehr gespannt auf die kommenden Wochen, habe mich gerade rückwärts gelesen und mag das Projekt schon jetzt!

    Hab einen schönen 1. Adventabend, liebe Graugans

  2. Ein Film, der mir schon das Leben gerettet hat…
    Erstens kenne ich „Kleine Fluchten“, schon der Titel gefiel mir seinerzeit.

    Ich veröffentlichte mal so etwas wie „A drawing saved my life“. Es gab tatsächlich eine Begebenheit, auf die das zutraf, Leider besitze ich die Zeichnung nicht mehr, es war ein Frauenkopf.

    1. Das kann ich gut verstehen, es gibt solche Ereignisse, absolut … schade, sehr schade, daß Du die Zeichnung nicht mehr hast!

      1. Ich bekam gar keine Benachrichtigung über Deine Antwort, daher schaute ich selbst noch mal nach.

        In der schweren Depression zeichnete ich überhaupt nicht. Und diese eine Zeichnung gelang so gut, es war sozusagen eine Anknüpfung an eine allererste Zeichnung eines Frauenkopfes in den Sand, als Knirps.
        Diese Verbindung sehe ich erst jetzt.
        Jedenfalls rettete mich diese Zeichnung absolut. In den nächsten zwei Tagen gab es noch die Potenz eines Rückfalls, die ich sehr wohl spürte, aber danach war alles vorbei.

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