24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein Tag 7 #Jan Kuhlbrodt

Ist hier jedes rechthabende Wort falsch? Aber gibt es linkshabende linkische Wörter auch? Sprechen sie in der Pause?

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Was ist Deutsch? Für mich?

Eine Frage, die mich in Verlegenheit bringt, weil: ich weiß es nicht. Das Wort, der Begriff? hat über die Jahre, in denen ich damit umging oder vielmehr den Umgang damit beobachtete, seinen Charakter und seinen Inhalt eins ums andere Mal verändert; mir scheint, es ist zuallererst ein Spiegel für die Position dessen, der es benutzt. Und ein Bild für die gesellschaftliche Umgebung, in der es benutzt wird. Gut erinnere ich mich noch an die Verrenkungen, die sprachlichen, die die Ideologen in der DDR betrieben, um dem Deutschen eine irgendwie progressive Note zu verleihen.

Meine Schwierigkeit folgt also gar nicht aus eigenem Deutschsein, denn das bleibt weitgehend unbestimmt, sondern im Hinblick auf eine Abgrenzung. Egal ob man das Wort polemisch für für das schlechthin böse nimmt, oder ob man es gebraucht, um seinen kümmerlichen Stolz zu füttern: Deutsch ist alles, was nicht nichtdeutsch ist.

Hier aber läuft der Gedankentanker schon auf Grund, es sei denn, ich würde das Deutsche als das schlechthin Andere mir Fremde bestimmen. Damit hätte ich meinen Hals natürlich aus der Schlinge gezogen. Elegant? Und by the way alle Verantwortung für deutsche Untaten von mir gewiesen. Aber, und hier beginnen die Schwierigkeiten, ich habe diese Abkehr in deutscher Sprache formuliert. Es ist wahrscheinlich das Einzige, was unstrittig deutsch ist. Meine Fessel also, an mein Deutschsein. Die Sprache! Und es wäre zum Verzweifeln, läge diese als reine Sprache vor, als bestimmte Anzahl eindeutiger Vokabeln, die nach einem festen grammatischen Regelwerk gefügt werden und eine entsprechende Anzahl sinnvoller Sätze zuließen. Ein abgegrenztes Sammelgebiet, wenn man so will, denn alles Sagbare wäre damit bestimmt. Trüber Gedanke!

Zum Glück aber ist die Sprache allen Sprachbewahrern zum Trotz eine dynamische Angelegenheit und sie ist Formbar. Wir sind also in der Lage, die Köpfe aus der Schlinge zu ziehen, die wir sprachlich um unsere Hälse gelegt. Und wir sollten es tun.

 

Text: Jan Kuhlbrodt
Blog: Postkultur

 

4 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein Tag 7 #Jan Kuhlbrodt

  1. …das sollten wir tun
    ja.

    Jedoch, so einfach ist das nicht.
    „Deutsch ist, was nicht nichtdeutsch ist“, das erscheint mir im gleichen Maße richtig wie total falsch zu sein, ich bitte um Gnade, meine Synapsen glühen, ich gehe damit in den bairisch/deutschen Wald und hole Tannenreisig..

    Hab vielen Dank für Deinen herausfordernd grandiosen Text!

  2. Beim Sinnieren übers Deutschsein und was das denn sei, fiel auch mir die Sprache ein, aber dann wären Österreicher*innen und Schweizer*innen ja auch deutsch –
    Ansonsten lasse ich deinen Text noch wirken, er ist für die grauen Zellen eine willkommene Gymnastik.
    Herzliche Grüße
    Ulli

  3. „Deutsch“ ist vielleicht auch schlicht als Hochsprache zu sehen, die die in ihrem Umfeld gesprochenen Sprachen, Dialekte, Soziolekte bündelt und im Interesse des Handels und des Austauschs auf einen vereinheitlichenden gemeinsamen Nenner hievt. Eine bewegte Wortsuppe, die Worte bis zur Unkenntlichkeit ihrer Herkunft aufnimmt, weitertradiert und fortentwickelt, aber auch manche fortschickt und ausscheidet. Immer in Abhängigkeit von dem, der gerade spricht und angesprochen sein will. Und so stelle ich fest, dass ich „vornamenstechnisch“ wohl von den Kelten, den Römern und den Türken gleichermaßen komme, obwohl ich schon immer einen deutschen Pass besessen habe, in dem kein Einreisestempel meines Vornamens vermerkt ist. Ist er vielleicht sogar ein illegaler Flüchtling? Auf jeden Fall ist er ganz schön raffiniert. Spannend finde ich das gerade auch immer wieder in Auseinandersetzung mit den Rechten, wenn es um den ollen Goebbels und seinen Vornamen geht. Ausgerechnet dieser unsägliche Propagandist beherbegte bei sich zu Hause einen jüdischen Wortmenschen, mit dem er es täglich zu tun hatte, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, ja, ihm sogar vorwegging! Oder wie soll ich das verstehen? Die Sprache entlarvt, wenn man sie wirklich zu Worte kommen lässt. Ich plädiere dafür, kritisch und selbstkritisch an den positiven Traditionen dieses Begriffs „Deutsch“ festzuhalten und auch die negativen nicht aus dem Auge zu verlieren. Nicht ein einziges Wort sollte den Rechten überlassen werden. Mit unseren Inhalten gefüllt können sie den rechten Hohlkörperphrasen Sinn, unseren Sinn, entgegensetzen.

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