24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 11 #Riffmaster

„Au weia … was ist denn das für ein Thema … gleich als ich diese Fragestellung „Mutmaßungen über das Deutschsein“ das erste Mal hörte,  wurde mir ein wenig schummrig. Und irgendwie wollte ich mich ja vor diesem Thema drücken, denn es ist ein Thema, das bei mir viel Unbehagen auslöst.

Spontan fiel mir dann das folgende Zitat ein:  „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“  … viel überheblicher konnte man ja kaum dieses nationale Überheblichkeitsgedusel zum Ausdruck bringen und ich packte dieses Zitat direkt in die Nazi-Ecke.

Weit gefehlt ! Denn, zum einen heißt dieses Zitat ja eigentlich „… und es mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen!“ und entstanden sind diese Zeiten 1961 im Rahmen des Gedichtes „Deutschlands Beruf“; der Verfasser war ein gewisser Franz Emanuel August Geibel (17.10.1815 – 06.04.1884). Anlass für dieses Gedicht war sein Wunsch, dass aus all den damaligen deutschen Einzelstaaten ein vereinigtes Deutschland (freilich unter der Führung des Kaisers) entstehen möge. Und mit diesem Wunsch verband er die Hoffnung, dass daraus eine neue Friedensordnung entstehen möge, von der auch andere Völker profitieren sollten und könnten. Mag ja naiv gewesen sein, aber die von mir unterstellte Überheblichkeit relativierte sich doch stark, nachdem mir die Hintergründe dieser Zeilen bewußt wurden.

Dass spätere Generationen aus dem Wörtchen „mag“ dann dieses „soll“ machten, dafür kann der Autor nun wirklich nichts. Und dass dieses Zitat später auch mal als Ausdruck deutscher Arroganz verwendet wurde, ist ja nun auch nicht von der Hand zu weisen.

Na ja und dann diese berühmten Heinrich Heine Worte: „„Denk ich an Deutschland in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht“ (entstanden 1844, quasi am Vorabend der deutschen Revolution von 1848). Sie drücken für mich bis heute jene Empfindungen aus, die mir bei meinen Mutmaßungen über Deutschland sehr nahestanden.

Skepsis, große Skepsis, wenn ich da an mein Heimatland denke. Und vordergründig auch kein Wunder, gehöre ich doch zu jener Generation, die sich schmerzlich bewusst zu machen hatte … welche Greueltaten von deutschem Boden ausgingen.

Aber auch dieser Argwohn ist ja eigentlich nur auf dem ersten Blick gerechtfertigt. Öffnet man seinen Blick auf dieses Thema, so kann man durchaus – und da muss man nicht allzulange nachdenken – feststellen, dass “wir Deutsche“ ohne weiteres hervorragende und unser Leben prägende Persönlichkeiten hatten und wohl auch haben. Damit meine ich nicht dieses „Land der Dichter und Denker“ (auch diese Formulierung löst ihn mir Unwohlsein aus), sondern damit meine ich alle jene Menschen, die mit ihrer z.T. radikalen Entschiedenheit dazu beigetragen haben, Gegenentwürfe zu all jenen Barbareien in der Menschheitsgeschichte zu entwickeln, die mich heute noch bewegen, berühren. Und spontan wandern meine Gedanken zu einer Rosa Luxemburg …

Und dennoch: mein Widerwille bleibt, denn in der Fragestellung steckt ja auch die Vermutung es gäbe ein „Deutschsein“. Und das bringt mich dann unwillkürlich zu diesem Theo Sommer, dem damaligen Herausgeber der „Zeit“, der da 2006 schrieb „Integration bedeutet zwangsläufig ein gutes Stück Assimilation an die deutsche Leitkultur und deren Kernwerte“. Diese deutsche Leitkultur impliziert ja, es gäbe auch eine italienische, französische oder britische Leitkultur.

Das Gegenteil ist der Fall.  Eigentlich bedeutet die Auseinandersetzung mit „deutscher Leitkultur“:

Für Deutschland muss die Leitkultur der Integration betont europäisch sein. Ihr liegen die folgenden zentralen europäische Werte zu Grunde: Trennung von Religion und Politik, Demokratie, Menschenrechte, religiöser und kultureller Pluralismus und Zivilgesellschaft. (Bassam Tibi; der stammt aus Damaskus und war damals, als er diese Zeilen in der Welt veröffentlichte – also 2002 –  Professor für Internationale Beziehungen an der Georg-August-Universität Göttingen)

Bringen mich diese Überlegungen weiter ? Komme ich damit der ursprünglichen Fragestellung näher ? Ich befürchte nein … Meine Mutmaßungen über das Deutschsein führen mich in die Sackgasse … aber zumindest dies bleibt bei mir hängen: Auf den Blickwinkel kommt es an und mein Blickwinkel ist und bleibt ein Blickwinkel der an Humanität und sozialer Gerechtigkeit orientiert ist … und da haben Menschen aus deutschen Landen doch so einige wichtige und wohl auch entscheidende  Impulse geben können.

Und ein jeder sei aufgefordert, welche der gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland für ihn eine besondere Relevanz haben … denn mit diesen Entwicklungen sind auch immer besondere Persönlichkeiten verbunden. Persönlichkeiten, die dann Teil der „Mutmaßungen über das Deutschein“ sein können.

Text : Riffmaster

Blog: Sammelsurium

Blog: Many Fantastic Colors

 

6 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 11 #Riffmaster

  1. Hm. Kann man so sehen. Es steckt eben jedem seine Sozialisationsgeschichte in den Knochen.

    Jedoch, was ist das bloß, dass seit 2 oder 3 Jahren überall so getan wird, als ob es außer Sprache keine Unterschiede zwischen den Völkern gäbe? Was ist da plötzlich für eine Entwertung von kulturellem Nationalerbe, Nationalgerichten, Mentalitätsunterschieden passiert? Und wem nützt das in 1. Linie? Dem allgemeinen Humanismus oder der neoliberalen Wirtschaft, die ihre Arbeitssklaven hier akzeptiert wissen will?

    Bin ich zu ketzerisch?

    Ist nicht die Tonsprache eines Verdi anders, als die eines Wagner oder Bruckner?
    Schreibt nicht Cervantes, Dumas oder Dickens anders als Fontane, Spielhagen, May?

    Muss man nicht Russe sein um schreiben zu können wie Turgeniew oder Dostjewski?

    Wären wir Deutschen jemals auf das Rezept für Pizza oder Spaghetti gekommen?
    Hätten wir Festlandeuropäer jemals Pfefferminzsoße gut gefunden?

    Ich will damit nur sagen: Ich bin näher bei Theo Sommer als bei Bassam Tibi.

    Ich habe extremen Internationalismus in Gestalt des „proletarischen Internationalismus“ scheitern sehen, obwohl auch DER gut gemeint war.

    1. Nun denn, mit „ketzerischen“ Antworten habe ich ja überhaupt kein Problem … sie sind das Salz in der Suppe …

      Dennoch: reduziere ich die Mutmaßungen über das Deutschein“ auf die Speisekarte, dann kann man das gerne machen, aber dann bitte ich auch darum, die „Schweinshaxn“ aufzunehmen.

      Und was die unterschiedlichen kompositorischen Stile betrifft … ja, die gibt es es wohl … ein Sibelius komponierte wohl anders als ein Smetana … Aber andererseits weiß man mittlerweile dass sich Bach und Vivaldi gegenseitig befruchtet haben (um nicht zu schreiben „beklaut haben“).

      Und was die Literatur betrifft: Wo finde ich denn eine Analyse, die Auskunft gibt über die unterschiedlichen Sprachstile aufgrund unterschiedlicher Nationalität ?

      Nein, ich bleibe dabei … diese Mutmaßungen über das Deutschsein“ können nur Mutmaßungen sein, denn bis jetzt hat mir noch keiner schlüssig erklären können, worin das „Deutschsein“ , erst recht nicht, worin die „deutsche Leitkultur“ besteht.

      Es kann aber gut sein, dass die unterschiedlichen Temperaturen zu unterschiedlichen Stimmungen führen … wenn man mal mit diesem Klischee spielen möchte … die Italiener und die Griechen sind faul … man arbeite mal bei diesen Temperaturen …

      Dass die Skandinavier faul sind, hört man selten bis nie … vielleicht bewegt man sich bei den dortigen Temperaturen auch lieber, damit einem warm wird …

      Wie gesagt: Mutmaßungen …

      1. Also mit dieser „Leitkultur“ kann ich ja schon überhaupt nix anfangen, ich kann mir nicht vorstellen, was das sein sollte und ob es in diesem Staatsapparat irgendeinen Gscheiten gibt, der es weiß?
        Und übrigends, herzlichen Dank, Meister, daß Du Deinen gemütlichen Sammelsuriumsladen allein gelassen hast, und hier in luftiger Höhe, zwischen Himmel und Erde Deine interessanten Gedanken „unter die Leut“ bringst!

      2. Zur Literatur: Da ist mir der Sprach-Stil relativ egal, da er durch das Übersetzen eh zum Teufel geht. Aber die inhaltliche Gestaltung – die ist doch arg unterschiedlich: Leichtfüßig im Westen, schwermütig im Osten; In Russland besonders tiefsinnige Gesellschaftsanalyse/-kritik; aber dann ein Fatalismus mit Hang zur Selbstzerstörung, wie ihn die Romantiker und Realisten in Deutschland niemals hinbekommen würden. (Na gut: Hesses Steppenwolf ist eng dran; aber dessen Vater hat ja auch seine Meriten in Russland gesammelt und irgendwas bleibt eben beim Nachwuchs immer hängen.)

        Was ich oben noch vergaß: Dann wär da noch unser typisch deutscher Hang zur Haarspalterei, zur Überbürokratisierung und zum Profilierungsgeschwätz ohne alle Rücksicht auf Realitäten … (Hach was bin ich heute wieder focussiert auf unsere externen Partner, die uns bei der Evaluation des ersten Geschäftsjahres – only for a handshake – unkompliziert und easy gepuscht haben.)

    2. Nein,Lieber Bludgy, keineswegs bist Du zu ketzerisch und wenn, dann bitte sehr gerne! Da geht es um Mutmaßungen und es darf ruhig heiß hergehen, wenn Meinungen und Gefühle aufeinanderprallen, ich liebe es, wenn auf meiner Bühne hier reger Betrieb herscht!
      Das, was Du hier ansprichst, hab ich mich auch gefragt und frag es mich immer noch, aber dieses Deutschsein, das erschließt sich mir nicht wirklich … genau deshalb hab ich mir hier ja auch Gäste eingeladen, deren Mutmaßungen mich brennend interessieren! Wenn ich mich überhaupt als Angehörige einer Nationalität fühle, dann am ehesten noch bayrisch-österreichisch…und ja, dann ist es aber auch schon wieder eigentlich die Sprache, die verbindet und zugehörig sein läßt, denn das Schriftdeutsche ist zwar der gemeinsame Nenner aber verstehen tu ich halt einen, der Platt spricht, ganz im Norden genausowenig wie einen Norweger oder eine Ägypterin , aber jemand aus Salzburg versteh ich schon…
      Puuuh, was hab ich mir da nur für Thema ausgedacht, da redet man sich ganz leicht um Kopf und Kragen … Gottlob sind´s nur Mutmaßungen!!!

  2. Ich frage mich schon lange was denn bitte die deutsche Leitkultur beinhaltet, wie ihr Kern beschaffen ist; wenn es denn, wie Herr Bassam Tibi sagt: „Trennung von Religion und Politik, Demokratie, Menschenrechte, religiöser und kultureller Pluralismus und Zivilgesellschaft“, sind, dann bin ich damit einverstanden. Bliebe allerdings der Begriff „Zivilgesellschaft“ näher zu definieren. Wie sich überhaupt bei diesen Mutmaßungen für mich herausstellt, sind die Definitionen sehr wichtig.
    Deinen Beitrag habe ich sehr gerne gelesen, danke.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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