24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 15 #Herr Ärmel

Mutmaßungen über das Deutschsein? Das heißt, den Mut aufbringen und Maß anlegen. An das Deutschsein. Ist ein deutscher Mensch in erster Linie Mensch oder Deutscher. Zu fragen ist, ob deutschsein ein kultureller oder ein politischer Habitus sei. Oder beziehen sich derlei Vermessungen auf nationale Bewertungen oder Übereinstimmungen?
In meinen frühen Jahren endeten solche Fragen eher in Anmaßungen, allenfalls vorerwachsene Überheblichkeiten. Früher oder später spürt man das selbst aufgeladene Kreuz dort, wo man sich mächtig vermessen, verhoben hat.

Deutschsein. Die Zugehörigkeit zum dem Volk der Dichter & Denker.
Und ebenso gehört dazu – das Volk der Richter & Henker. Und nicht bloß in vergangenen Zeiten.

Was Deutschsein meinen kann, und das heißt für mich das kollektiv kulturelle Gemeinsame, das habe ich im eigentlichen Sinn erst als Deutscher im Ausland erkennen gelernt. Nicht als Urlauber oder Reisender, sondern als Deutscher, der in anderen Ländern und überdies in anderen Kulturkreisen gelebt und gearbeitet hat.

Da haben sich mir Unterschiede gezeigt, die sich im kollektiven Verhalten und Benehmen auffällig erkennen ließen. Unabhängig davon, ob es sich um einzeln auftretende Menschen oder Gruppen gehandelt hatte. Aus der großen Zahl der selbst erlebten Beispiele nenne ich lediglich einige wenige beliebig aus.

Was den deutschen Urlauber von den Urlaubern anderer Nationen unterscheidet, ist die weit verbreitete Angst im Urlaubsland allüberall über den Tisch gezogen zu werden. Deshalb ist der deutsche Urlauber über die Preise im Urlaubsland bereits im Voraus bestens informiert. Man kennt die besten Schnäppchenquellen. Und feilscht und schachert selbst dann noch, wenn den einheimischen Anbietern und Verkäufern die blanke Armut ins Gesicht geschrieben steht. Überhaupt das liebe Geld.
Bisher sind mir in Hotelanlagen oder Orten mit besonderen Sehenswürdigkeiten lediglich Deutsche begegnet; bewaffnet mit kleinen Kameras, detektivisch gebückt auf der Suche nach herumliegendem Schmutz oder Unrat. Damit lässt sich beim Reiseveranstalter eine nachträgliche Preissenkung durchdrücken. Notfalls auch mit Nachdruck, der Drohung einer Veröffentlichung im Internet.

Fast noch wichtiger scheint dem deutschen Touristen, nicht für einen Touristen gehalten zu werden. Deshalb wird fast fieberhaft nach Orten gesucht, an denen sich keine Touristen aufhalten. Nur um dort auf andere Touristen zu treffen. Kommt man dabei versehentlich Einheimischen näher als man sich selbst das wünscht in Kontakt, zieht das anschließend in aller Regel entsprechende Kommentare und Wertungen nach sich.

Andererseits gelten deutsche Menschen als die spendenfreudigsten weltweit. Egal ob ein Tsunami an fremden Gestaden eine Küste wegbeißt oder in Ouagadougou eine Heuschreckenfamilie vom Baum gefallen ist – enorme Geldmengen fließen sogleich nach dem ersten Spendenaufruf auf den öffentlich-rechtlichen Fernsehkanälen.

Und ich selbst. In Südamerika, Nordafrika oder Südosteuropa. Nicht ich wurde bewundert, sondern die Tatsache, dass ich Deutscher bin und dadurch vermutlich das Deutschsein verkörpert habe. Die bloße Erwähnung, Deutscher zu sein, war der Auslöser zu manchmal fast schon unangenehmen Lobesbezeugungen. Autos, Bach & Beethoven, strategisches Denken, Ehrlichkeit, Fußball, Goethe (in Südamerika hingegen Alexander von Humboldt), handwerkliches Können, Ingenieurskunst, Kultur, Perfektion, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Sparsamkeit, Zuverlässigkeit usw. usf. Ein Wunderland mit wunderbaren Menschen. So will es scheinen.

Seit drei Jahren lebe ich wieder in Deutschland. Und gedenke dies auch weiterhin so zu halten. Welche Gegensätze zu dem Bild, das viele Ausländer haben, erlebe ich hier im alltäglichen Leben. Das Genörgel über Kleinigkeiten, die Besserwisserei, die Unzufriedenheit und die konsumierende Völlerei bei gleichzeitiger Schnäppchenjägerei in vielen Bereichen.
 Die vorgenannten zahlreichen positiven Aspekte zum Deutschsein, die mir von Arbeitskollegen, Bekannten oder Freunden anderer Nationalitäten in vielen Kommentaren und Bemerkungen aufgezeigt worden sind, machen mir die hier im Land oft so aufdringlichen negativen Äußerungen klein.

Herr Ärmel für das 24 T. Projekt der Frau Graugans

Text: Herr Ärmel
Blog: Herr Ärmel: Immer horsche immer gugge

5 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 15 #Herr Ärmel

  1. Vieles erkenne ich wieder. Neu war mir, dass Deutsche gern spenden. Ich finde das interessant, denn tatsächlich ist eine auffallende deutsche Eigenschaft der Geiz („Geiz ist geil“ wäre undenkbar im Land, in dem ich lebe). Wie stolz war doch einer meiner deutschen Besucher, in sechs Wochen Griechenland nicht einen Pfennig ausgegeben zu haben. Überall hatte er sich durchgeschnorrt und meinte, die Griechen seien froh gewesen, gastfreundlich sein zu dürfen. Gegenseitigkeit? Kam ihm nicht in den Sinn. Ich schickte ihn sogleich zum Brötchenkaufen, was er grummelnd hinnahm. Griechen hätten ihm das nicht zugemutet, die hätten es gehalten wie der etwas armselig und recht verzweifelt wirkende Grieche, den ich in Frankfurt kennenlernte. Er hatte eine Taverne auf der Halkidiki und ein Notizbuch voll mit Adressen von Leuten (Deutsche, Hollander), die er zu Hause eingeladen hatte und die ihm versichert hatten, sie würden sich riesig freuen, wenn er sie in ihrer Heimat besuchen würde. Doch als er erschien, war NIEMAND für ihn da. Bereits am Telefon wimmelte man ihn ab. Und nun war er pleite. Ich war wütend, beherbergte ihn und schenkte ihm das Geld für den Rückflug.
    Was das Lob der deutschen Eigenschaften anbelangt, so bin ich da sehr zwiespältig. „Deutsche Hausfrauen“ seien bekanntlich die besten, mein Mann könne sich glücklich schätzen etc pp. (ich bin überhaupt keine Hausfrau). Auch sonst gibt es manchmal merkwürdigstes Lob bezüglich der deutschen Art, zB: „schade, dass ihr sie nicht alle umgebracht habt“ sagte mal ein Taxifahrer zu mir, als ich neu im Land war. Heute murmeln viele mit schiefem Lächeln „Was sagst du zu Merkel?“

    1. Gerda, vielleicht spenden sie aus schlechtem Gewissen heraus, weil es ihnen (so unverschämt) gut geht.
      Meine Einschätzung über die Deutschen sähe deiner viel ähnlicher als einem Lob über die tollen deutschen Eigenschaften.

  2. Eine schonungslose ehrliche Analyse, lieber Herr Ärmel. Als ebenfalls ehemaliger Auslandsarbeiter habe ich fast dieselben Erfahrungen gemacht, nur in Österreich wäre den Einheimischen eine schnelle Abreise recht gewesen, aber man kann nicht alles haben 😉

  3. Danke, Herr Ärmel. In Situationen wie diesen von Ihnen beschriebenen „… Und feilscht und schachert selbst dann noch, wenn den einheimischen Anbietern und Verkäufern die blanke Armut ins Gesicht geschrieben steht. Überhaupt das liebe Geld.“ hatte ich schon oft Anfälle von Fremdschämen – aber die Leute meinten, dass Feilschen im Ausland dazu gehört. Und die besonders gut Feilschenden machten den Eindruck eines besonders gut gefüllten Portemonnaies.
    Ich sage immer, ich freue mich, in diesem Land ohne Beschneidung und mit gewissen Rechten als Frau geboren zu sein, aber stolz kann ich auf das Land meiner Geburt nicht aufbringen, da ich nicht so viel zu seinem Ruhm beigetragen habe – mich aber immer bemühe, auf andere nicht herabzugucken.
    Was bliebe von unseren kulturellen Ansprüchen und Vorstellungen eines guten Lebens, wenn wir zufällig in einem der ärmsten Länder der Welt geboren wären.
    Der bisher noch größere Teil meines Lebens (kann sich ja noch ändern 🙂 ) hat ja in der DDR stattgefunden. Die war mir gegenüber nicht so positiv eingestellt, dass sie mich etwas studieren lassen hat, womit ich auch im Ausland hätte arbeiten können, so dass mir dieser Blick aus der Ferne fehlt. Doch der aus Touristenaugen hat mir sehr oft genügt und ich fand selten das Land der Dichter und Denker widergespiegelt, aber oft der Gröler und Trinker. – Und in der letzten Zeit werden die politischen Äußerungen immer deutswcher??? oder undeutscher??? Ich weiß es nicht – um auszuwandern bin ich zu alt und kann viel zu wenig eine andere Sprache – aber das Bedürfnis hatte ich schon ab und zu mal.
    Gute Nacht sagt Clara

  4. Lieber Herr Ärmel, wie ich mich freue, dass auch sie eine Mutmaßung anstellen, wobei dies ja mehr Erfahrungen als Mutmaßungen sind – ich grinse schief über den deutschen Touristen, der in die Bredouille kommt, wenn er auf Einheimische trifft, also will er die Kulisse, aber nicht die Menschen, die diese Kulisse mitgestalten?!
    Mir fiel besonders an deutschen Tourist*innen auf, dass sie einfach überall deutsch reden und pikiert sind, wenn man sie nicht versteht (Ausnahmen gab es natürlich auch hier, aber die gibt es ja nun wirklich immer).
    Besonders bedanken möchte ich mich für diesen Satz:“Früher oder später spürt man das selbst aufgeladene Kreuz dort, wo man sich mächtig vermessen, verhoben hat.“
    Herzliche Grüße und Ihnen eine gute Zeit,
    Ulli

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