24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 10 #Nora Gomringer

Wie klingt eigentlich Deutsch?

Hier knackt es, gähnt es, jault und hängt etwas. Eine konsonantische Liaison versperrt einem den Rachen und unaufhörlich bellt es. Man wiehert und knattert, klemmt, krächzt, hustet und blökt. Man surrt, summt, schleckt und prustet-pustet. Ein ständiges Streitgespräch zweier Halskranker. So klingt Deutsch. In den Ohren französischer Partisanen in Tarantino Filmen allemal. Wenn ich aber mein Ohr ganz fest an Heines Winterreise presse, dann klingeln Schlittenglocken heraus und ein Wanderstab, der auf dem noch nicht geteerten Feldweg aufsetzt. Regelmäßig, vom Schnee gedämpft, ist das Geräusch. Schüttle ich Grass’ Liebeserklärung der Grimmschen Wörter, dann krach-pengt es hervor aus dem Schlagwerk des Tourbegleiters Baby Sommer, des Jazz Drummers, der den Grass seit dem Butt in Musik und Schall und Klang neben dem Rauch aus des Meisters Pfeife wandeln kann wie keiner sonst. Das Wispern von Liebesschwüren weht aus abertausenden von Schriften, original und übersetzt und im Deutschen klingt ich liebe dich genauso schön (bedrohlich) wie in jeder anderen Sprache. Das dialektale I mog di (Bayerisch) oder das fremdsprachliche Ich ha di gern (Schwiizerdütsch) aus den Liedtexten von La Brasbanda oder des Holsturner Music Big Band Club, den Schriften Pedro Lenz’ oder Beat Sterchis lassen Seufzer zu. Die gehören auch ins deutsche Sound-Vokabular. Wir Deutschen seufzen gerne. Bei Kleist noch bis zur Ohnmacht, heute bevor wir ansetzen und Reden schwingen. Offizielles passt zu unserer Sprache. Wir wissen ja, dass man sie mit Pferden sprechen kann, während Französisch, Spanisch und Italienisch bei Gott, Männern, und den Frauen angewendet wird. Nun sind Pferde ja durchaus geduldige Zuhörer und seit Monty Roberts uns auch die non-verbalen Dialekte der Pferde gelehrt hat, muss man sich nicht mehr verstecken, wenn einer wiehert, wir wären einfach zu deutsch in Ton und Gebaren. In Amish Country gibt es diese Kategorie nicht. Da ist zu deutsch Brauchtumspflege und der Slogan „Mer schwetze noch die Muddersprooch“ ist in aller (noch so zahnloser) Munde. Dass das harte Deutsch vor allem aus dem einen Munde die Massen verführen, belügen konnte, das war die weltweit unerwartete Folge abgestumpfter Akustik. Die Ohren waren noch taub vom Lärm der ersten Bomben. Eine ganze Sprache, um vieles schrecklicher als das Phänomen, das aus dem Klemperer’schen Buche wie aus dem Weltempfänger schnarrt. Es ist der zarten Selma, der klugen Nelly, der weltumspannenden Rose zu danken, dass wir das Deutsche wieder zum Denken urbar machen konnten. Manch einer liebt das Deutsche heute gar so sehr, dass er es unterschätzt, das Kind bei der Hand nehmen möchte, d.h. ihm Reinheitsgebote aufstellt, bevor es – unkenbeschworen- in den Brunnen fällt. Die Deutschen – so viel sie schwarz malen- lieben Brunnen, vor allem die vor Toren und wenn ein paar Toren darum herum zu stehen kommen…auch gut. Sitzen doch in fast allen Zisternen verzauberte Prinzen, die das Kindlein schaukelnd wieder ans Licht zu bringen verstehen. Das Deutsche ist elastisch – Gottlob! Hat uns fast verziehen nach zwei Kriegen und ein paar Dudenausgaben. Die Reparation war lediglich der Verlust besonders entfremdeter Abstrakta à la Blut, Boden, Erde, Volk. Das Deutsche behalf sich, fand den Durchgang durch die eigenen Antwortlosigkeiten, die Celan ihm zusprach, lässt aber seit jeher Einflüsse zu, schwappt stets weiter, wird ein Sprachfluss mitreißender Qualität. Modern ist es dadurch, nützlich und charmant-verquer, für manchen kaum erlernbar: die Rübe und das Fräulein! Es schenkt uns irre Silben wie das Him- der Beere und den -ling, der schmettert. Die Schönheit der Summe, des Herzens, das Legato des aufgegangenen Mondes, das rollende Rrrrr des Brotes, das Abendrot, das Spitze der spitzen Steine des Nordens und die Schnauze der Berliner. Wir sind so herrlich aufgeplustert, wir deutschen Deutschsprecher. Und gackern dabei zu selten. Deutsch klingt manchmal nach allem, was es sein kann: Sprache und Aufbewahrungsort und Musensang. Das sagen auch meine Eltern und die sprechen es länger als ich.

Nora Gomringer – ersch. in „Ich bin doch nicht hier, um sie zu amüsieren“ 2014 – Voland & Quist

4 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 10 #Nora Gomringer

  1. Liebe Nora, ich dank Dir sehr, daß Du mir diesen wundervollen Text zur Verfügung gestellt hast! Ich hoffe, daß Du den Krankheitsspuk hinter Dir gelassen hast und die guten Geister der Weihnacht Dir wundersames Leuchten, Freude und Glück bescheren! Viele liebe Grüße, Margarete

  2. schöne Hymne auf das Deutsche! Es ist nun mal so: jede Sprache wird schön oder schändlich, langweilig oder anmaßend durch ihre Sprecher. Ich erinnere mich an meinen poetischen belgischen Freund Paul, in dessen Mund das Flämische, das ich zuvor fast zur hässlichsten Sprache der Welt erkoren hätte, zu einem wunderbaren Klanggebilde wurde.

    Zum Lob der deutschen Sprache möchte ich auch die Syntax hinzufügen, mit ihrer kreisförmigen Bewegung, bei der die Spannung, was denn nun gemeint sei, bis zum Ende des Satzes bestehen bleibt. Wird es ein Nicht? (ich esse meine Suppe —- nicht). Welches Verb gibt dem Modalverb, dem Hilfsverb, das am Anfang steht, seinen Sinn? Erst das Ende wird es weisen. (ich möchte meinem Mann, der immer, wenn er fernsieht, …. , gerne einmal —- nehmen). Solchen raffinierten Satzbau macht uns Deutschen so leicht niemand nach.

  3. Ich erinnere mich an eine Deutschstunde im Gymnasium, wir sollten alle Wörter aufschreiben, die uns zum „gehen“ einfielen, es kamen etliche zusammen: schlendern, laufen, springen, hüpfen, rennen usw. – später lernte ich, dass es im Englischen nahezu umgekehrt ist, ein Wort steht für viele andere …
    Herzlichen Dank für deinen Beitrag zur deutschen Sprache, den ich sehr mag.
    Ulli

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