24 T. – Mutmaßungen … Tag 9: Über die Freundschaft (2)

Die Freundschaft.

Oder: Der Dekalog der Freundschaft Versuch, ein Geländer zu errichten, an das Befreundete oder solche, die es werden wollen, sich vielleicht halten können.

 

Anhalten:

  • wenn du bemerkst: da sendet/empfängt/schwingt jemand auf ähnlicher Frequenz, und falls der andere das ebenfalls feststellt, dann heißt es gut hinhören/-schauen/-spüren, vielleicht erwächst ja mehr draus, und falls nicht, so war’s die intensiven Augenblicke trotzdem wert

 

Freihalten:

  • reservier dem Freund stets einen Platz: in deiner Zeit, in deiner Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, in deinem Lebenskarussell, denn es bedarf der gewussten/gefühlten/geteilten Gemeinsamkeiten, damit die Freundschaft wächst, gedeiht und auch Durststrecken zu überstehen vermag

 

Zusammenhalten:

  • durch Gezeiten und Fährnisse, durch Krisen und Krankheiten, die mal dich, mal den Freund und – wenn’s dumm läuft – euch beide zeitgleich erschüttern, und erschrick nicht: manchmal besteht Zusammenhalten in solchen Zeiten vor allem darin, dass man einander auszuhalten lernt

 

Festhalten:

  • wenn der Freund arg nah am Abgrund tänzelt oder im Malaisenmeer zu versinken droht, dann sollst du ihn festhalten bis er sich wieder fängt, und bis er sich wieder gefangen hat: ihm nicht vorhalten, dass er tänzelte oder versank oder deine Hand nicht gleich sehen konnte oder ergriff

Innehalten:

  • sobald die Freunde empfinden, dass sie einander ein Stück weit Heimat geworden sind, sollten sie von Zeit zu Zeit bewusst innehalten, um voller Freude und Genuss die Landschaft zu betrachten, die sie sich gemeinsam erschaffen und zum Erblühen gebracht haben

 

Hochhalten:

  • die Werte, die du mit dem Freund teilst, sollt ihr nicht nur hochhalten, sondern ab und an auf Aktualität und Gültigkeit überprüfen und euch ehrlich über Differenzen austauschen, denn die verschwiegenen Unterschiede in der Gesinnung sind der schleichende Tod der Freundschaft

Raushalten:

  • sobald du erkennst: der Freund will im Moment weder Rat noch Kommentar zu seinem Tun oder Nicht-Tun, sondern bloß Zustimmung oder Schweigen, dann schweig am besten oder nick nur stumm, zuvorderst gilt das für den frisch verliebten oder frisch entliebten Freund

 

Dichthalten:

  • wenn der Freund dir das Innerste seines Herzens ausschüttet, und zwar inklusive des Mördergruben-Parts, so ist über das Mitgeteilte fortan unbedingtes Stillschweigen zu bewahren, nicht nur gegenüber Dritten, sondern je nach Gemütszustand auch gegenüber dem Freund selbst

 

Aushalten:

  • die fortwährende Annäherung an die größtmögliche Aufrichtigkeit erfordert auch ein Aushalten derselben: denn in den Sternstunden einer Freundschaft offenbarst du dem Freund nicht etwa deine Schwächen, sondern die seinen

Durchhalten:

  • wann immer Freihalten, Zusammenhalten, Festhalten, Innehalten, Hochhalten, Raushalten, Dichthalten oder Aushalten schwer oder unmöglich ist, kann es hilfreich sein, dich in der Kunst des Durchhaltens zu üben, bis du weißt, ob es mit Beibehalten oder Fernhalten weitergehen wird

Text:
Kraulquappe 

9 Gedanken zu „24 T. – Mutmaßungen … Tag 9: Über die Freundschaft (2)

  1. Ein sehr aufmerksamer Text, liebe Natascha… ich musste gleich mal innehalten, um es dann für mich (bei) zu behalten. Das wollte ich hier einfach mal festhalten. Ein lieber Gruß zu Dir und ein Dank an die Graugans für diese feine adventliche Dreier-Aktion.

    1. Man hört ja dieser Tage nicht viel Gutes über Twitter, aber das hier, das höre ich doch gern! Bin selbst nicht dort, weil ich schon mit den diversen anderen Schattierungen des Hierseins (oder des Daseins) momentan fast etwas überfordert bin.

  2. Vielen Dank für dieses starke Stück, diese extrem scharfsichtige Innenschau am offenen Herzen! Äußerst präzise Auflistung der Zutaten für eine gelingende Freundschaft. Ich stimme Dir in allen Punkten zu. Meine Erfahrung aber, wenn ich so zurückschaue, ist so, wie einer meiner Lieblingssprüche (noch wird er Tucholsky zugeschrieben): „Das Leben ist nicht so, es ist ganz anders.“ Wie oft bin ich jemand nachgelaufen, die/der anscheinend mit mir nicht befreundet sein wollte, was hab ich alles getan, gekämpft, gefleht, entschuldigt, um ein gerissenes Freundschaftsband wieder zu reparieren, ohne Erfolg. Manchmal sind zwei Menschen ewig befreundet, bis sie feststellen, daß sie sich eigentlich gar nicht leiden können. Sogenannte Herzensfreundschaften, die nach einem wilden Auflodern als kleine armselige Häuferln Asche am Wegrand liegenbleiben, man geht weiter.
    Und seltsamerweise sind Freundschaften einfach so passiert, ohne daß man irgendwas tun musste, außer sich zu mögen. Das Schönste und wertvollste Geschenk ist, wenn man gar nichts tun muß, wenn die einzige Gewissheit die ist, daß der andere Mensch da ist und ich bin es auch, und wenn es reicht, weil das Du genau dieses Du ist und Ich bin dieses Ich. Also, während ich das schreibe hier, werd ich das Gefühl nicht los, daß Freundschaft genau so unmöglich ist, wie sie möglich ist. Manchmal wird man reich beschenkt vom Leben mit einem Menschen, der irgendwann da ist und bleibt, egal, was passiert. Dafür dank ich dem Großen Geheimnis des Universums.

    1. Als ich mich an diesen „10 Geboten“ versuchte und so vor mich hin mutmaßte, zogen etliche Freundschaften meines Lebens vor meinem inneren Auge vorbei, gewesene und noch bestehende.
      Mir geht es ähnlich wie dir: manches, was fulminant und überschwänglich begann, hielt schon dem ersten lauen Lebenswindchen nicht stand, anderes, was anfangs blass wirkte, entwickelte mit den Jahren eine Farbpalette, die man nie für möglich gehalten hätte.
      Und fast immer kam es anders als ich anfangs oder zwischendrin oder am Ende dachte.
      Zeitlebens hab ich mich verschlissen in Freundschaften, positiv wie negativ, nie war ich passiv, weil wenn ich’s war, ist’s ja gar nicht erst zur Freundschaft gekommen. Manchmal ging ich zerschunden und zerrüttet vom ehemals fruchtbaren Freundschaftsacker, andere Male sonnenverwöhnt und mit reicher Ernte im Gepäck (den mit mir Befreundeten ist es vermutlich ähnlich ergangen).
      Ein bisschen ist es mit der Freundschaft ja wie mit der Liebe: du kannst dich drin verlieren und finden zugleich (und ob ihr einander bleiben könnt, werdet ihr wissen, wenn ihr einander geblieben seid).
      Amen.

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