24 T. – Der Weg: Tag 23

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 23 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#23) – ©Michael Helminger

Als Kind dachte ich, für jeden Menschen, der stirbt, wird dort oben am Himmel ein Licht angezündet. Eine schöne Vorstellung, etwas in mir hat nicht aufgehört, das heute noch zu glauben.
Wenn ich nachts hinaufschaue zum Himmel, und ich schaue oft hinauf, dann sehe ich diesen besonders hellen Stern, der ausschaut als wäre er aus Glas. Und immer denke ich an sie, meine Freundin mit den Jadeaugen. Damals, als wir uns begegnet sind, war es noch nicht üblich, so viele Freundschaften zu haben. Damals war das Wort „Freundin“ noch nicht so inflationär und dadurch eher bedeutungslos , man brauchte sich auch nicht zu schämen, nur eine einzige Freundin zu haben, weil es ganz selbstverständlich außer Familie und Arbeit die besondere Freundin war, mit der man jede freie Minute verbracht hat. Wir haben uns kennengelernt und wurden einander Herz und Seele.

Wir haben uns gesagt, wie wichtig wir füreinander waren, wie wir uns brauchten und einander sofort schon beim Abschied vermisst haben, wir schenkten uns Briefe mit Gedichten, ich bekam welche von ihrem Lieblingsdichter Friedrich Rückert und sie schrieb mir lange „Vorworte“ in die Bücher, die sie mir schenkte.

Wir haben nächtelang geredet, hörten stundenlang Musik, und wir liebten Walzer und konnten wunderbar tanzen, linksrum, rechtsrum … seit damals kann ich keine Chopinwalzer mehr ertragen und seit sie mir auf dem etwas verstimmten Klavier die Mondscheinsonate vorgespielt hat, kann ich die auch nicht mehr aushalten bis heute, weil ich so traurig darüber bin, daß ich einfach die Stelle nicht mehr weiß, an der sie sich immer verspielte und wir schon im Voraus gelacht haben.

Ich habe mich bis heute nie wieder so sehr verstanden und bedingungslos angenommen gefühlt in meinem ganzen Sein wie damals von ihr, meiner Freundin mit den Jadeaugen.

Wir hatten nur wenige Jahre in dieser Innigkeit, dann war die Freundschaft weg. Warum vergeht eine Freundschaft?

Sie vergeht  und anscheinend kann man nichts dagegen tun, wir sind nicht grandios gescheitert, das Ende hat sich Stück für Stück an uns herangeschlichen und eine Fremdheit hat sich ausgebreitet zwischen uns und wir saßen da und schauten auf Brachland, wo einst eine blühende Wiese war.
Es gab feinste Haarrisse, kaum zu merken und damals in Frankreich, als wir bei Vollmond an einem Fluß standen, da habe ich diesen leisen Knacks gemerkt, ich hatte plötzlich so ein Gefühl, daß etwas zu Ende ging, wir waren wie immer, und doch habe ich es gespürt. Wir haben nicht über das gesprochen, was sich in unseren Herzen zugetragen hat, wir sind uns einfach entglitten, immer weiter und weiter auseinander, wir konnten nichts mehr miteinander anfangen. Ich konnte sie nicht mehr aushalten und auch nicht mehr mögen, meinte ich jedenfalls.

Die Jahre vergingen, manchmal trafen wir uns zufällig auf irgendwelchen Festen  und ihre Jadeaugen sahen mich an und sie waren so voller Traurigkeit, daß es mir einen Stich ins Herz gab, aber sie lachte und plauderte charmant und ich sah, daß sie immer magerer wurde … wir konnten nicht zueinander kommen … das Wasser war viel zu tief…
Als ich erfahren habe, daß sie schwer krank war, konnte ich sie nicht besuchen, ich konnte einfach nicht.  Und ich weiß auch nicht, warum ich ihr dann doch diesen sehr langen Brief geschrieben habe. Ich wußte, daß sie krank war, aber ich ahnte nicht, wie sehr … oder ahnte ich es doch … ich schickte den Brief ab.
Ich hatte ihr geschrieben, daß wir die Freundschaft nicht halten konnten, aber die Liebe ist geblieben. Und daß ich am Himmel immer den hellsten Stern suchen würde und an sie denken …
Und ihr Mann hat ihn ihr vorgelesen und er überbrachte mir später ihre Worte: „Darauf habe ich noch gewartet“, dann ist sie gestorben.

Wie merkwürdig das ist, wir konnten uns nicht mehr aushalten als Freundinnen und ich mag sie eigentlich so lange schon nicht mehr und ich frage mich , warum alles so gekommen ist, warum wir uns so verletzt haben … da meine ich manchmal, ihre Stimme zu hören: bitte, nicht aussprechen, laß es sein, jetzt ist alles gut …

Wenn ich zu den Sternen hinaufschaue, dann quillt mein Herz schier über vor Sehnsucht und ich spüre diese tiefe lebenslange Liebe zu ihr, die anscheinend nie mehr vergehen mag, außen haben wir alles verloren, aber innen drin sind wir ein Herz und eine Seele geblieben.

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9 Gedanken zu „24 T. – Der Weg: Tag 23

  1. Was für ein schöner, berührender Text. Danke für diese Zeilen und für die vielen anderen an den Vortagen. Und für die blaue Stunde im Bild, auf die ich mich schon immer vorgefreut habe. Frohe Weihnachten!

  2. …und obwohl ich die schrecklichschöne Geschichte von dir und der Jadeaugenfreundin schon kannte, ging sie mir unter die Haut wie beim ersten Mal.
    Wunderbar geschrieben (und gottseidank hast du ihr diesen letzten Brief geschickt).
    War übrigens ein bewegender Tanz letzte Nacht 💙

  3. … wohl dem , der so eine Freundschaft erleben darf.
    Ich habe eine, tiefbraune Augen hat sie, lebt schon lange in Dänemark und wenn wir uns treffen, ist es, als wären wir nie getrennt. Sofort ist dieses tiefe Vertrauen da.
    Ich habe deine Geschichte sehr gern gelesen, alle anderen auch und die blauen Stunden waren einzigartig.
    Frohes Fest!💙

  4. So eine Freundin zu haben wie Du eine bist, das ist ein ungeheuer großes, gar nicht zu begreifendes Geschenk. Und ein wenig bist Du uns allen eine solche Freundin, denn tiefe Liebe strömt aus jedem Text, den Du hier teilst.

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