Vor vielen Jahren kam einmal ein fremder Wanderer zu unserem Haus. Er blieb stehen und fragte meinen Vater höflich, ob er sich auf der Hausbank niedersetzen dürfte, um ein wenig auszuruhen. Natürlich dürfe er das, sagte mein Vater. Und er brachte dem völlig erschöpften Fremden auch gleich unsere kostbaren Kracherln (Limonade) zum Trinken. Weil dieser sofort gierig die Flasche austrank, brachte der Vater noch eine zweite und eine dritte zum Mitnehmen. Normalerweise wurde sehr sparsam mit diesen wunderbaren Waldmeister- oder Himbeerkracherln umgegangen, denn es gab sie nur ganz selten. In diesem Fall hätte der Vater auch noch mehr gebracht, aber der Fremde lehnte ab und bedankte sich für das, was er bekommen hatte. Er habe kein Geld dabei, sagte er, aber er werde sich irgendwann erkenntlich zeigen. Und dann stand er auf und machte sich weiter auf den Weg.
Er kam von weither und mußte noch weit gehen, so hat er gesagt.
Wenn mein Vater später davon erzählte, sprach er immer voller Wertschätzung über diese Begegnung und immer sprach er von der außergewöhnlichen Freundlichkeit dieses fremden Mannes.
Lange Zeit später, ich weiß nicht, waren Monate oder Jahre vergangen … hielt eines Tages ein Auto vor dem Haus. Es stieg jemand aus und klopfte an die Türe. Mein Vater machte auf und erkannte sofort, wer da vor ihm stand, es war der Fremde von damals. Dieser überreichte ihm einen Mantel als Dank dafür, daß ihm mein Vater damals was zum Trinken gegeben hatte. Dann verabschiedeten sie sich, der freundliche Mann stieg ins Auto und fuhr weg. Mein Vater wusste nichts von ihm und hat ihn auch nie wieder gesehen.
Den Mantel hat er in Ehren gehalten und ihn viele Jahre getragen, es war ein warmer Mantel aus hellbraunem Wollstoff mit einem Teddyfutter und einer Kapuze und passte ihm wie maßgeschneidert. Später hing er noch Jahre nach Vaters Tod im Schrank, bis seine Nähte sich auflösten und er praktisch von selber zerfallen ist.
Wieder ein Beitrag, der zum Nachdenken anregt. Meist bekommt man zurück, was man gibt. Sicher nicht immer in gleicher ‚Münze‘, aber es ist die Geste, die zählt.
Mir gefielen bisher alle Beiträge, die du teils aus deinem tiefsten Inneren hervorgeholt und geschrieben hast.
Ein letzter Adventsgruß!
Jutta
Genau um solcher Erlebnisse wegen werde ich nicht aufgeben, an das Gute im Menschen, zumindest den meisten zu glauben und versuche, danach zu handeln. Nicht, um irgendwann von irgendwem mal einen Mantel zu bekommen, schon klar. Aber ich will mir den Glauben nicht nehmen lassen, das Gutes tun Gutes bewirkt, auch wenn es genug andere gibt, die das vortrefflich auszunützen wissen.
Trotzdem.
Danke fürs Erzählen und fürs Bestätigen, dass ich nicht ganz falsch liege.
Wir haben halt alles in uns, das Gute, das Schlechte und alles zwischendrin, nicht wahr! In der Geschichte war es so, da hatte einer Durst und der andere hats gesehen und hat ihm was zum Trinken gegeben, so einfach war das. Warum der Fremde meinem Vater dann dafür seinen (eigenen!) Mantel geschenkt hat, bleibt ein Geheimnis. Tatsache ist, daß mein Vater bis dahin keinen warmen Mantel besessen hat, weil er zu arm war, um sich einen zu kaufen.
Ob Gutes immer Gutes bewirkt, weiß ich nicht. Aber was ich ganz sicher weiß: Wenn ich einem frierenden Menschen eine Decke gebe, dann frierts ihn nicht mehr … wenn ich einem Hungernden was zum Essen gebe, wird er satt und wenn ich einem Einsamen ein wenig Gesellschaft leiste, dann ist er zumindest nicht mehr so allein. Liebe Grüße und vielen Dank für Deine freundlichen Kommentare.
P.S. Als Gegengewicht zu „O Haupt voll…“ Du weißt … würd ich mein Lieblingsweihnachtslied vorschlagen: Thank God Its Christmas (https://youtu.be/Zu7r5Xsg6dc?feature=shared)
So eine schöne Geschichte! Es scheint fast unglaublich, dass sich solche Geschichten von verlorenen Weitwanderern zu unseren Lebenszeiten zugetragen haben!
Das hast Du schön gesagt… ja, vielleicht war er einer, der verlorengegangen ist…