Ich gehe in der Spur der Raben
Wenn die klägliche Suche nach dem Sinn unserer Existenz zu dem trostlosen Ergebnis führt, daß es keinen gibt, wir also in diese Welt gespien werden, ohne zu wissen warum … kaum, daß wir bemerken am Leben zu sein, dieses auch schon wieder vergeht, wir also verfallen und nach kürzester Zeit wieder verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen – sehnen wir uns panisch danach, diese unsere kurze Zeit bewußt zu leben und auszukosten. Wir suchen verzweifelt nach dem undefinierbaren Jetzt. Darin wollen wir uns einrichten, es ausfüllen bis zum Rand und wir wollen es erspüren und genießen und wir arbeiten hart daran, im Jetzt anzukommen. Wir zwingen uns zur augenblicklichen Erspürung und müssen erkennen, daß das Jetzt – eingeklemmt zwischen Vorhin und Dann – gar nicht existiert.
Wenn wir den Augenblick, den Moment, das Nun im Jetzt, bewußt erleben könnten, meinten wir, daß er sich dann weiten würde. Hofften wir.
Damit würde sich diese kläglich kurze Zeit dehnen, länger werden und wir nicht gar so schnell wieder in dieses abscheulich angstmachende, grenzenlose Nichts geschleudert werden.
Hoffen wir und ahnen heimlich die Vergeblichkeit dieses Ansinnens.
Das Einzige, was uns bleibt, ist Gelächter, sage ich.
„Also“ – sagt der Rabe und dreht sich zu mir um –
„wenn Du Klarheit suchst,
brauchst Du nicht mir hinterher zu laufen,
denn auch bei mir entsteht aus vielen Fragmenten
zuweilen Chaos!“
Am Wegrand sitzt der rote Kater Willie und schaut mich sonderbar an.
Nach dem ersten Lesen las ich erneut und nach dem zweiten Lesen sogar noch ein drittes Mal, um sicherzugehen, dass ich hier und jetzt eine belastbare Aussage mache, nämlich jene: ich verstehe ganz genau, wovon du sprichst und ich sehe das genauso. Hast du vortrefflich beschrieben, das mit der vergeblichen Hoffnung auf Weitung – und alles andere auch.
Ziehe mir nun die Decke über den Kopf und kuschle mit dem Schneckerl, das mich auch bisweilen sonderbar anschaut. Grüße hinunter ins Bergland!
So Fragen. In absehbarer Zeit lasse ich von der Arbeit und gehe mit, den Sinn suchen. Das mache ich ja schon länger, berufsbegleitend, wenn man so möchte. Was übrigens ein guter Trick unserer Gesellschaft ist, alle Welt stets beschäftigt zu halten, dann bleibt nicht so viel Zeit zum suchen nach dem Sinn. Falls es wider Erwarten doch einen geben sollte, dann ist er stets sehr persönlicher Natur. Für mich mag es die Überwindung sein, von diesem und jenem Ego-Auswüchsen. Über den eigenen Tellerrand schauen. Den Blick weiten, wenn schon nicht die Zeit.
Erfüllung spüre ich nur für Augenblicke, die ist arg flüchtig. Aber – das macht mich froh, herausgefunden zu haben – so Augenblicke lassen sich aneinander reihen und geben mit Glück eine fragile Kette ab.
Die Zeit dehnen, hmm.
Langsamer atmen vielleicht.
Gruß, Reiner
Durch und durch wunderbar geschrieben, mit viel Tiefe. Werde in Zukunft auf meine Jetztmomente mehr achten.
Liebe Grüße
Gabriele