24 T. – Der Weg: Tag 13

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 13 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#13) – ©Michael Helminger

 

Das Haus III

Wanderinnen, durch die Risse der Zeit – ich höre Euch nicht.
Wer seid Ihr, die ich in schweren Nächten um mich ahne?

Ahnen? Ahninnen in diesem Haus der Urgroßväter – Großväter – Väter,
festgehalten hier die Frauen.

In den Tagen, wenn die Sonne im Holz wandert und das Haus sich riechen läßt, da tut es mir gut, Euch zu spüren. Fast meine ich, das leise Auftreten Eurer Füße zu hören, leise, um niemand zu wecken, die Männer nicht, die schwere Arbeit tun, fast spüre ich das Flattern der langen Röcke. Ich höre das Schreien Eurer unglücklichen Säuglinge, nachdem sie mit ihren Köpfen Eure Leiber zerrissen haben. Ich höre das Schreien der Kinder, wenn sie sich verletzt haben oder von harten Händen geschlagen worden sind. Ich höre das leise Weinen der Großmutter, deren Söhne immer und immer wieder im Krieg fallen, auf dem Felde der Ehre. Einer ist daheim gestorben, die Tuberkulose hat ihn langsam dahingerafft, der Eiter war ihm aus den Beulen gespritzt. Zwei Söhne sind ihr geblieben, der älteste und der jüngste … verfeindet im Bruderkrieg … ein Flüchtlingsweib kommt ins Haus … die soll froh sein, daß sie einer geheiratet hat, wo sie doch nichts dabei hatte, die soll froh sein und dankbar und den Mund halten … kann ja keiner was dafür, daß so viele Flüchtlinge da sind, wir haben ja selber nichts usw.

Das Haus schluckt die Kämpfe, schluckt die Vorwürfe, das Geschrei, das Betteln um Liebe, das Schlagen um Geld, das Weinen um die Toten, den Geruch nach Suppe, vollgeschissenen Windeln, den Geruch vom Blut der getöteten Tiere und den Geruch der Verstorbenen, die, auch wenn sie im Sommer gestorben sind, aufgebahrt in den Zimmern liegen und „auslaufen“, und alles, was noch in ihnen ist, auf den Boden tropft. Das Haus schluckt alles, es verliert sich in den Zimmern, in den Ecken und Ritzen und Spalten … es verliert sich, alles verliert sich … alle verlieren sich. Nein, das Haus, es verliert nichts.

Schreien tun die Männer, die Kinder, die Frauen schreien nicht, auch nicht, wenn sie gebären.
Gesprochen wird nur, wenn es nicht anders geht.
Auch der Tod ist stumm.
Männer müssen sich durchsetzen, alles regieren, befehlen, anschaffen, wenn nicht gespurt wird, dann brüllen die Männer und wenn’s sein muß, dann schlagen sie auch, so ist es halt.

Das Haus öffnet seine Poren und saugt die Töne auf. Angst machen sie mir, die Ahninnen, wenn ich ihnen in den schweren dunklen Nächten begegne.

Ich sage Haus zum Haus, und das Haus ist in mir und ich bin das Haus.

Wo ist der Raum, in dem wir leben?
Steine aufgeschichtet, ein paar Balken darüber,
es bewegt sich um und drumherum.

Im Bett, in dem der Tod liegt, liegt auch das Neugeborene.

Das Haus – es geht im Haus herum, durchwandert Räume und Zeiten, überspringt Schwellen, vor manchen zögert es, auf manchen bleibt es hocken, über manch eine ist es gefallen und ins Bodenlose gestürzt … wo lege ich meine Spur?
Die Wände riechen nach Holz, ganz egal, was um sie weht, ob Leichengeruch oder Kinderwindeln.
Muß man es füttern, das Haus?

Das Haus, das Haus, es spuckt mich aus.

Gar nichts tut das Haus. Es steht da, riecht nach Holz und Steinen und nach altem Verputz, alle anderen Gerüche verschwinden mit den Menschen. Übrig bleiben Holz, Steine, Spinnen.
Das Haus tut nichts.

Neben dem Haus zwischen den Birken liegt das Holz, aufgestapelt nach dem letzten Sturm.

Aus einem Stamm schaut mich das Gesicht an.

2 Gedanken zu „24 T. – Der Weg: Tag 13

  1. Atemlos gelesen, welch eine dichte, bedrückende und doch wieder wunderbare Geschichte!
    Chapeau!
    Liebe Grüße
    Gabriele

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