Archiv für den Tag: 21. Dezember 2024

24 T. – Der Weg: Tag 21

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 21 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#21) – ©Michael Helminger

Vor vielen Jahren kam einmal ein fremder Wanderer zu unserem Haus. Er blieb stehen und fragte meinen Vater höflich, ob er sich auf der Hausbank niedersetzen dürfte, um ein wenig auszuruhen. Natürlich dürfe er das, sagte mein Vater. Und er brachte dem völlig erschöpften Fremden auch gleich unsere kostbaren Kracherln (Limonade) zum Trinken. Weil dieser sofort gierig die Flasche austrank, brachte der Vater noch eine zweite und eine dritte zum Mitnehmen. Normalerweise wurde sehr sparsam mit diesen wunderbaren Waldmeister- oder Himbeerkracherln umgegangen, denn es gab sie nur ganz selten. In diesem Fall hätte der Vater auch noch mehr gebracht, aber der Fremde lehnte ab und bedankte sich für das, was er bekommen hatte. Er habe kein Geld dabei, sagte er, aber er werde sich irgendwann erkenntlich zeigen. Und dann stand er auf und machte sich weiter auf den Weg.

Er kam von weither und mußte noch weit gehen, so hat  er gesagt.

Wenn mein Vater später davon erzählte, sprach er immer voller Wertschätzung über diese Begegnung und immer sprach er von der außergewöhnlichen Freundlichkeit dieses fremden Mannes.

Lange Zeit später, ich weiß nicht, waren Monate oder Jahre vergangen … hielt eines Tages ein Auto vor dem Haus. Es stieg jemand aus und klopfte an die Türe. Mein Vater machte auf und erkannte sofort, wer da vor ihm stand, es war der Fremde von damals. Dieser überreichte ihm  einen Mantel als Dank dafür, daß ihm mein Vater damals was zum Trinken gegeben hatte. Dann verabschiedeten sie sich, der freundliche Mann stieg ins Auto und fuhr weg. Mein Vater wusste nichts von ihm und hat ihn auch nie wieder gesehen.

Den Mantel hat er in Ehren gehalten und ihn viele Jahre getragen, es war ein warmer Mantel aus hellbraunem Wollstoff mit einem Teddyfutter und einer Kapuze und passte ihm wie maßgeschneidert. Später hing er noch Jahre nach Vaters Tod im Schrank, bis seine Nähte sich auflösten und er praktisch von selber zerfallen ist.