Archiv für den Tag: 2. Dezember 2024

24 T. – Der Weg: Tag 2

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 2 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#02) – ©Michael Helminger

 

Alles hat eine Nummer, das ist für die Schlachtbank und für den Nachweis, daß die Kreatur, die zum Opferaltar geführt wird, gut gehalten wurde. Bei Opfertieren achtet man auf überprüfbare Biohaltung, die soll gewährleisten, daß sie ein gutes Leben hatten vor dem Schlachten.  Auch für das Danach ist das Biosiegel erwünscht, man fühlt sich einfach wohler, wenn das Tier gut gelebt hat. Wir mögen es lieber essen. Es verhält sich sein Fleisch dann angenehmer in Pfanne, Topf und Teller.

Menschen sind nicht verpflichtet, ihre Nummer, den Nachweis ihrer Herkunft und welcher Haltung sie entstammen, sichtbar herumzutragen, aber auf Verlangen vorzulegen. Ein Biosiegel ist noch nicht Pflicht, aber eine genaue Auflistung über Lebensweise und Gesundheitstests, diverse Ersatzteile und Medikamentengaben sollte verfügbar sein, damit im Danach alles gut verwertet und abgebaut werden kann.

Wie Menschen sterben, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Um nach dem Leben der jeweilig gewünschten Verarbeitung zugeführt werden zu können und in die richtigen Behältnisse zu kommen, ist es sinnvoll, irgendwo den Namen anzubringen.

Dem Anatomiediener, so nannte man denjenigen, der im Keller des Krankenhauses die Toten in Empfang genommen hat, die vom Pflegepersonal gebracht wurden, brauchte man das Bett mit der zugedeckten Leiche nur hinzustellen, alles weitere erledigte er selber. Der Raum war immer voller Rauch und auch ansonsten wenig einladend, der Anatomiediener wollte gerne ein wenig plaudern, aber alle wollten so schnell wie möglich hier wieder weg. Er selbst schien ein relativ entspanntes Verhältnis zu Leben und Tod zu haben. Er wusste, daß alle, egal wer oder was sie waren, irgendwann hier landen würden. Er machte die Tür zum großen Kühlschrank auf und holte zwischen bleichgekühlten Füssen, an deren großem Zeh ein Namensschild hing, eine Bierflasche heraus und sagte freundlich: „Magst einen Schluck?“