Archiv für den Tag: 8. November 2023

#28 Cancion Mixteca

Als ich heute Nachmittag mit dem Radl losgefahren bin, hatte sich die Sonne auf unserer nördlichen Schattenseite des Tales schon zurückgezogen und es war so kalt, daß meine Nase zum Eiswürfel erstarrte. Das passte gut zu meiner Verfassung, ein Projekt fing an, mich zu nerven, weil es zäh wurde und ich zunehmend die Lust daran verlor. Alles mögliche, unbewältigte Zeug fiel mir ein und in der Küche lag noch der Geruch vom völlig verkohlten Lauchgemüse gestern Abend … ich hatte nur mal schnell was nachschauen wollen in der Zeitung und die Pfanne auf dem Herd vergessen … dann riss auch noch der Schnürsenkel meiner Radschuhe … ich fuhr also in denkbar schlechter Laune los. Nach ein paar eisigen Kilometern kommt plötzlich hinter dem Wald ein Schwall lauwarmer Luft dahergeweht und die Sonne taucht auch nochmal auf und scheint warm auf meinen Rücken. Und dann ist da plötzlich dieser wunderschöne Stein, der liegt einfach da an der Straßenseite, glatt und matt schimmernd und rund wie eine perfekte Bowlingkugel. Ich werde ihn mir morgen mit dem Auto holen … wenn er nicht inzwischen weggerollt ist.

Und beim Heimfahren bleib ich stehen, da ist im Wald ein Phänomen zu sehen, von dem ich vor Jahren, in der Anfangszeit dieses Blogs schon mal berichtet hatte. Es ist  Windstille, nur an einem Ast bewegt sich ganz sanft ein kleiner Zweig und die Blätter daran. Alles ringsherum ist bewegungslos, nur dieser kleine Zweig wiegt sich sanft in einer nicht vorhandenen Brise Luft, keine Ahnung, woher sie kommt … ein paar Minuten nur, dann ist es vorbei. Damals dachte ich an die Bücher von Carlos Castaneda, der von seinem Lehrer Don Juan in vielerlei Situationen gelehrt bekam, daß die Welt nicht nur aus erklärbarer Wirklichkeit besteht. Heute denke ich sofort an Harry Dean Stanton, wie er durch die Wüste geht. Unzählige Male hab ich mir die Anfangssequenz von „Paris Texas“ schon angesehen. Immer wieder und wieder geht er durch die Wüste, dieser absolut aufrechte Gang, dieser Blick sagt alles. Der übrige Film, die ganze Geschichte dahinter ist eigentlich nicht mehr nötig, seine Augen, seine Hände und sein Gehen erzählen von Zärtlichkeit, Scheitern und Einsamkeit.

Y triste cual hoja al viento

Und wenn er so geht und den letzten Tropfen Wasser trinkt und zum Adler hinüberschaut, begleitet ihn diese Musik, wie das wehklagende Lied der Wüste … eine Szene, die mir zur Zeit nicht aus dem Kopf geht.

Und als ich dann heimfahre, geht Harry Dean Stanton neben mir … aufrecht … und dann denk ich mir, daß ich jetzt einfach den Dingen ihren Lauf lasse, es muß ja ein Projekt nicht immer sehr gut sein, halb gut reicht auch, macht Freude und der Leistungsdruck ist weg.

So gehts auch.

 

Und das schreibt die Frau Kraulquappe zum derzeitigen Stand der Dinge