Archiv für den Tag: 2. Oktober 2023

#23 Die Krähen sind auch wieder da

Nachdem ich den doppelt knieerneuerten Herrn Graugans in der täglichen Reha abgeliefert habe, fahre ich einen kleinen Umweg und setze mich auf einen großen Capucchino ins kleine Café beim Lieblingsbäcker. Ein angenehmer Platz in diesem völlig unscheinbaren Dorf direkt an der Salzburger Autobahn. Neben der Bäckerei ist die Kirche und neben der Kirche ist das Wirtshaus, so wie es sich gehört. Lange Zeit gab es keinen Bäcker mehr, der letzte einer alten Bäckerfamilie mußte aufhören und hatte keinen Nachfolger. Auch der kleine Edeka, Metzgerei, Friseur und Dorfdoktor sind weitergezogen. Aber welch ein Glück, der Bäcker, der die besten Brezn in der Region macht, nicht zu vergessen, die unwiderstehlich guten Nußbeugerln, hat hier eine Filiale eröffnet und einen Lagerraum,der früher ein Café war, wieder dahin zurückgebaut. Manchmal fahre ich mit unserer früheren Pächterin, einer alten Bäuerin hierher, es gibt einen Parkplatz direkt am Haus und sie muß mit ihren wehen Füssen nicht so weit gehen. Dann sitzen wir da und sie erzählt von dem Bittgang am Ulrichstag von Dorf zu Dorf, da haben sie auch hier gesessen, damals, vor so langer Zeit. Sie waren junge Mädchen und mit ein paar Pfennig konnten sie sich ein Kracherl (Limonade) leisten und dann haben sie aus dem Fenster eingehend die jungen Männer draußen am Kirchplatz angeschaut. Wenn sie davon erzählt, hat sie kleine Blitze in den Augen. Da lag das ganze Leben noch vor ihr. Sie mußte damals schon schwer arbeiten und so ist es auch geblieben. Jetzt ist sie 82 Jahre alt, krank und sitzt alleine in ihrer Küche. Und wenn ich sie abhole, dann sagt sie: „Gell, heut lassen wir es uns gutgehen!“ Und dann suchen wir eine Torte aus und sie vergißt für ein Stünderl den blöden Diabetes und alles andere, was innen und außen das Leben schwer macht. Und manchmal hört man durch den Lautsprecher den Pfarrer, der bei einer Beerdigung zu den Angehörigen spricht und man sieht, ob es eine „schöne Leich‘ “ ist, d.h. daß viele festlich gekleidete Menschen der/dem Toten das Geleit geben. Vor paar Tagen haben wir Geleitmusik gehört, einer hat die Zieharmonika gespielt, so wunderschön, daß mir weh ums Herz wurde, weil ich an meinen Papa, den Ziacherer, denken mußte, da hätte sich das genauso schön angehört.

Ich empfinde es als Ehre und Würdigung für ein gelebtes Leben, mit einer so schönen Musik in die Erde, die letzte Heimstätte des Körpers, hineingleiten zu dürfen.

Ich sitze gerne neben der Kirche und höre ihre Turmuhr schlagen und ihre Glocken bei den verschiedenen Ereignissen am Lebensweg, ob zu Beginn oder am Ende und, daß sie wie anderswo der Muezzin, die Gläubigen zum Gebet ruft. Und ich empfinde dabei meine christliche Prägung keinesfalls als Belastung, sondern als Glück.

Andere sehen das komplett anders, vor allem die, die in touristischer Absicht unterwegs sind und sich dann, wie die Verkäuferin berichtet, beschweren, weil sie sich bei der Übernachtung im Wohnmobil auf dem Dorfparkplatz vom Kirchturm beträchtlich in ihrer verdienten Urlaubsruhe gestört fühlen.

Manchmal hab ich den Eindruck, das oberbairische Bergland ist ein großer Ferienpark, leider gibts noch keine Chipkarte, wo man sich seinen Aufenthalt nach Erlebnis-Bedarf zusammenstellen kann … mit oder ohne Glocken, mit „Weißwürstchen“ zu jeder Tageszeit und mit Ketchup, wo die Brez „Brezzel“ heißt und man zu jeder Tag- und Nachtzeit „einen Maaas“ trinkt und die Mädels und Buas sich auf Knopfdruck drehen, bis man unter die Röcke kucken kann und leckere Jungs bei krachlederner Volxrocknroller- und zu Herzen gehender Gabaliermusik herum springen und Schuhe plättern… Hulapalu … hüben wie drüben ein Renner.

Beim nächsten Cafébesuch probier ich mal einen schwarzen Kuchen, sagt meine alte Freundin, schaumamoi, wer alles ins Geschäft kommt und ob ich jemand kenne … und ob sie mich kennen … Du weißt, wie ich das mein, Grete, gell!

The heart wants what it wants,
or else it does not care“…
Emily Dickinson, 1892 

Es ist mir ein Rätsel, wie die Kraulquappe trotz Radl- Hunde- Gepäcktransfer in unpünktlich- vollgestopftem Zug noch zum Schreiben kommt… Sie kann´s, weil sie sie ist! Gruß an dieses Wunderwesen!