Archiv für den Monat: Dezember 2016

T.13 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Mutmaßungen über die Liebe. Herrlich anmaßender Gedankenanstoß.

Dafür muß ich erst die Liebe bemessen. Wie kam sie mir und wie
könnte ich die vielen Arten auf ein vernünftiges einheitliches Maß
bringen? Lieb und zart, fast federleichtig habe ich sie entdeckt,
die Liebe. Großmütterlich barschfein war sie und unendlich süß in
den Gutenachtküssen der Mama. Vater brachte neue, unbekannte
Facetten mit ein, die erst viel später erkennen ließen, daß auch die Liebe sich manchmal maskiert.

Geschwisterliebe war oftmals rauh, lehrte Durchsetzung und
unabdingbare Treue. Die Liebe zu allen Wesen, die die Natur uns
schenkt, die ist wohl die mächtigste aus Kinderprägezeiten mir
geblieben. Keinen Tag lang verließ sie mich, egal wie dunkel er war.
Menschenliebe hingegen schwankte heftig, besonders als ich die
körperliche Liebe entdeckte. So viele Variationen, so hochjauchzend
und so sudelbefleckt. Bei weitem habe ich nicht alles ausgelebt,
doch gemessen an meinen Möglichkeiten ist mein Lebensleibliebbecher recht randgefüllt.

Die Liebe war letzthinnige Zeitchen ein ruhiges Wasser. Keine
Strömung, kein Sturm im Messglase, stille sichere und berechenbare
Tide und doch fehlte es mir an… ich wußte es nicht. Begann jedoch
staunend jene Wildheit aufzunehmen, die unwillkürlich nur in
Mutanfälle sich wandeln kann. Mut. In Maßen. Mutmaßungen. Jetzt
kenne ich meine Liebe, die ich sein will. Und Mut gehört immer dazu.
Zu jeder Art der Liebe und jeder der mutig sich seiner Liebe
bekennt, verdient zunächst mal Respekt.Und Hoffnung, angemessen
mitdosiert. Meine Liebe ist nun in diesem Gleichgewicht.

Ich habe einen Satz geschenkt bekommen und dieser Satz fügt für
mich alle Mutmaßungen über die Liebe in drei Worten zusammen: Ich
liebe uns. Und damit bin ich selbst in meiner Liebe angekommen.

 

Herzlichen Dank, liebe Käthe Knobloch!

T.12 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Mutmaßungen über die L.I.E.B.E.
# 2
Etwas Liebes, Kleines, Warmes flüsterte sie und sehnte sich.
Er war kein Prinz, nicht Samt und Seide, Gold oder Edelstein. Sie hatte keinen alabasterweißen, unschuldigen Körper, kein ebenholzschwarzes Haar, die Frau aus der Stadt, der Mann vom Dorf. Ein Jahr lang Glück, leichter Tanz und der Glanz des Neuanfangs.
Sie waren nicht leer zueinander gekommen, sie waren nicht mehr jung, das Leben hatte sie schon gefurcht, in Falten gelegt, Haare ergrauen lassen, Misstrauen, Angst und Enttäuschungen saßen in ihren Zellen. Wenn sie aber still nebeneinander saßen, jede und jeder mit sich und den Dingen beschäftigt, dann…
Ein Jahr lang Glück, sie erzählte davon, der Grauschleier war klein und trübte nicht den Glanz. Ein Mann und eine Frau lagen in einer Frühlingswiese, sie hielten sich, sie atmeten sich und etwas Liebes, Kleines und Warmes…
Bei allem Blau des Frühlings, allem Rot des Inkarnatklees, allem Gelb des Löwenzahns, den Regenbögen über ihren Köpfen, allem Vogelgezwitscher, war da manchmal ein Grauton, ein erster Fehlmix der Farben, der Töne, eine leise Disharmonie.
Ja, johlte die Menge, Liebe will erarbeitet werden, sie fällt nicht in den Schoß, Frau Holle schüttelt ihr Gold nicht auf die faule Marie … und es ging vor und zurück. Im Zurück wohnten die Erinnerungen an das erste Jahr und an noch viele weitere Stunden voller Liebe, voller Wärme, im Vor schrien sie den Frieden mancher Sommertage kaputt.
Eine Frau und ein Mann, sie schrieben ein Stück klassischer Musik, leises Frohlocken, pirschen und jagen, ein kleines und ein großes Hallali, Freudentanz, tobende Stürme, dann Raum.
Sie, die gebrannten Kinder, begannen sich voreinander zu fürchten, malten Schrecken an die Wände, Eifersucht und Ängste schlichen sich in all das Kleine, Warme und in die Liebe. Sie war kein Himmelbett für immer und doch trug sie die Frau und den Mann über alle Ängste, alle Verzweiflung hinweg, selbst über moorige Böden.

 

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Herzlichen Dank, liebe Ulli!

 

T.11 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Zeit, die langsam vergeht, und das Angebot, etwas über Liebe zu schreiben. Als hätte sie eine Ahnung von Liebe. Jeder hat eine Ahnung von Liebe, sagt eine Stimme, die sie nicht für die ihre hält. Und das Angst nur die Rückseite, der Schatten der Liebe ist. Also würde es keine Angst geben, wenn da keine Liebe wäre? Ja. Nur Kälte. Beliebigkeit.

Wenn die Liebe eine geometrische Form wäre, welche wäre es? Der Kreis, ohne Anfang und Ende, wie ihn der Ehering symbolisiert, oder eckig, mit drei, vier, oder noch mehr scharfen Kanten? Eine Pyramide? Ein Kegel?
Oder doch das Gebot: du sollst dir kein Bildnis machen.

Meinen Herzensdank, Mützenfalterin!

T.10 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

65 ist doch kein Alter

Adventszeit. Die Unruhe hatte sie nachmittags aus dem Haus getrieben. „Kommst du mit, Weihnachtsbäume zählen?“, hatte sie früher ins Telefon gerufen. Das Auto hatte wie von selbst die vertraute Route eingeschlagen. Es war schon dämmerig, und rechts und links blinkten immer wieder Nikoläuse und Rentiere an den Straßen. Und bunt beleuchtete Tannenbäume. Schön war das.
Wie so oft entspannte sie sich beim Autofahren. Schön und schrecklich und kitschig und doch auch ein bisschen feierlich. Sie spähte aufmerksam in eine Seitenstraße. Hatte dort hinten nicht immer dieses riesige Monster von einem Santa hervorgelugt, kletterte der dieses Jahr auch wieder die Hausfassade hoch? Ja, tat er. Vergnügt bog sie ab und passierte ihn kopfschüttelnd. Vielleicht hätte sie doch die Kamera mitnehmen sollen.

Der, mit dem sie am liebsten unterwegs gewesen wäre, war nicht mehr dabei. Ein Teil ihrer Freundschaft hatte daraus bestanden, dass sie miteinander im Auto durch die Stadt gekutscht waren, sie, die gern fuhr und ihre Stadt so liebte, er, der es genoss, etwas zu sehen, ohne sich großartig bewegen zu müssen und immer für eine dumme Idee zu haben gewesen war. An Gesprächsstoff hatte es ihnen nie gefehlt, auch wenn sie durchaus nicht immer einer Meinung gewesen waren. Rauchen durfte nur er in ihrem Auto, seine schmalen filterlosen Selbstgedrehten, er war sich der Ehre bewusst. Und wenn die kleine Karre noch eine Kaffeebar beherbergt hätte, wäre alles perfekt gewesen.

„Ach verdammt, warum bist du nicht hier“, sagte sie laut und erschrak über ihre eigene Stimme. Sie unterhielt sich in Gedanken öfter mit ihm, erzählte ihm, was los war, fragte ihn hin und wieder, was er davon hielt und versuchte zu erspüren, was er vielleicht geantwortet hätte. Manchmal hatte sie das Gefühl von Erheiterung, manchmal von interessierter Anteilnahme, meistens war da einfach gar nichts. Aber viel zu oft nagte dann einfach noch das Alleingelassensein an ihr und sie wütete in Gedanken und warf ihm vor, wie es ihm einfallen konnte, einfach so wegzusterben. Viel zu jung und so. Überhaupt, hatten sie nicht miteinander alt werden wollen?

Wie jedes Jahr hielt sie an einer bestimmten Straßenecke und betrachtete die Jugendstilvilla einer Immobilienfirma, die alle 15 Sekunden in einer anderen Farbe angestrahlt wurde. Rot-violett-grün-blau. Künstlerisch ohne Zweifel wertvoll. Sie hatten sich beide gefragt, wie man die Farbwechsel die ganze Nacht aushielt, ohne verrückt zu werden. Rot-violett-grün-blau. Au-gen-ter-ror. Aber vielleicht wurde das Teil ja später am Abend abgeschaltet.
Neben ihr schien der Schatten plötzlich dunkler zu werden. Als sie anfuhr, hatte sie das Gefühl, dass sie nicht mehr allein war. Sie schüttelte den Kopf. Mach dich nicht verrückt.

Als sie auf ihrer Lieblingsstraße entlang der Elbe dahinrollte, riskierte sie erneut einen Blick auf die Beifahrerseite. Hm. Hier waren die Lichterketten der Weihnachtsdekorationen deutlich dezenter und seltener, die Gegend war erheblich teurer. Dafür waren die Ausblicke auf und über das Wasser Richtung Hafen bei jeder Tages- und Nachtzeit unbezahlbar schön. Sie stoppte in einer Parkbucht und blickte auf die schimmernden Lichter des Hafens, die niemals schliefen. Hier hatten sie öfter gestanden, gegessen, gelacht, diskutiert, meist tagsüber, wenn der Imbiss am anderen Ende aufhatte.

„Na?“ dachte sie. „Schön, dass du vorbeischaust. Wie geht es dir so?“
Ein Schwall von Liebe und Wärme traf sie völlig unvorbereitet. Für einen Moment meinte sie, seinen charakteristischen Geruch zu riechen. Eine Welle von Sehnsucht schwappte hoch und trieb ihr sofort die Tränen in die Augen. „Hab ich alles nicht so gewollt“, brummelte es in ihrem Kopf.
„Weiß ich doch“, schniefte sie und griff nach einem Taschentuch.

Vor ihr knallte es irgendwo. Zischend starteten ein paar Raketen. Über dem Hafen regnete es Licht. Idioten, die waren wirklich früh dran mit dem Feuerwerksgeballer dieses Jahr! Okay, dann war das wohl das Zeichen. Sie schob die trüben Gedanken weg und griff neben sich in die Tasche. Mit sicheren Handgriffen entkorkte sie die mitgebrachte Sektflasche und zog eine Handvoll Wunderkerzen hervor. „Komm mit raus“, bat sie sicherheitshalber.

Draußen hockte sie sich auf die Lehne einer Bank, entzündete nicht ohne Mühe die Wunderkerzen alle auf einmal und bewunderte ihre funkensprühende Faust. Sie nahm einen großen Schluck Sekt, verschluckte sich und trank noch mal. Er hatte keinen Sekt gemocht, aber sie vermutete, dass das jetzt eh egal war. Dann hob sie die Flasche, goss einen kräftigen Schluck auf den Boden, drehte sich in alle Himmelsrichtungen und prostete ihm zu.
„Happy birthday, Alter. Nur Gutes dir. Wo immer du auch bist.“

 

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Allerherzlichsten Dank, liebe Christiane!

 

 

T.9 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Nur für A.P. von M.K.

Weisst du es noch? Damals, vor einem Jahr mein Liebster:-) Du und ich!
Du und ich und der duftende und warme Glühwein und die Winternacht?!
Die Winternacht voller Schnee und voller Magie und voller Du und voller Ich.
Da saßen wir die Nacht hindurch wach beieinander. Gemeinsam, zusammen haben wir die nächtlichen Stunden an uns vorbeiziehenlassen.
Ein Schlückchen warmen Glühwein hier:-) Ein Kuss von dir für mich, ein Kuss von mir für dich da!
Deine Lippen waren warm. Meine Lippen schmeckten nach Vanille, Zimt und Nelken. So viele Worte wurden gesprochen des Nachts. So viele Geheimnisse in der Dunkelheit entlarvt.
Ich war die Deine. Du warst der Meine. In der Nacht des Schnees.
Die Dunkelheit wollte nicht weichen in dieser Nacht. Die Stunden verflogen und der Himmel schenkte uns weißen Schnee. Die weiße Kälte ging uns bis zu den Knöcheln, als wir die Straße vor meinem Haus in den frühen Morgenstunden betraten.
Hier und da vereinzelte Lichter in den Fenstern. Sonst nur Stille um uns rum. Es war so still, ich konnte deinen Herzschlag hören. Hast du den Meinen auch gehört? Hast du meine Liebe schreien hören in dieser Nacht des Schnees?
Du und ich, wir zwei!
Halbdunkel war es und es war halbhell.
Unsere Liebe war reiner, als der weiße Schnee.
Du rolltest die Kugeln. Eine Kugel für dich und eine Kugel für mich und dann nochmal.
Deine Hände waren kalt. Deine Hände fühlten nichts. Dein Herz umso mehr.
Ich habe die Bilder gespeichert. Im Kopf und im Herzen und auf meiner Kamera:-)
Der Schneemannmann für dich.
Die Schneemannfrau für mich.
Erschaffen hast du sie für uns.
Für dich. Für mich.
Deine Hände wärmte ich in meinem Schoß bei Tagesbeginn.
Die Nacht ging. Der Tag kam.
Vor meinem Fenster zwei Schneemenschen.
Du und ich!
Da wusste ich ALLES:
Ich liebe dich!
Noch Tage später standen sie vor meinem Fenster und blickten mich verliebt an.
Ich blickte verliebt zurück,
lächelte sie an.
So sollte es sein!
Bis heute weiss ich, es ist Liebe!
Nicht nur schöner Schein:-)
Für dich liebster A.
einfach nur von deiner M.

T.8 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

„An Rheumatismus und an wahre Liebe glaubt man erst, wenn man davon befallen ist.“ (M. von Ebner-Eschenbach). „Alles ist eine Modesache: Gottesfurcht ist eine Modesache und die Liebe und die Krinoline und ein Ring in der Nase.“ (Søren Kierkegaard). „Diejenigen, die in der Liebe flatterhaft sind und sich aufs Betrügen verlegen, die werden selbst betrogen und hintergangen.“ (Marie de France). „Ich darf nur lieben, aber niemals jemandem gehören.“ (Franziska zu Reventlow). „Das unterscheidet die Liebe vom Geld: dass sie nur Zinsen bringt, wenn man sie ausgibt.“ (Markus M. Ronner). „Die Forderung, geliebt zu werden, ist die Größte der Anmaßungen.“ (Friedrich Nietzsche).
Ist das Liebe?  I Asked for Water – She Gave Me Gasoline (Howlin’ Wolf).

Erklär mir Liebe. Ingeborg Bachmann. Mutmassungen über Jakob. Da ist Gesine Cresspahl auch dabei. Nur ein scheinbarer Widerspruch: Freude am Leben und Dankbarkeit für das Leben, das ist die Liebe.
Die halten sich für die wahren Liebenden, die mehr erwarten, als sie je zu geben bereit wären. Wer zu seinem gegenüber sagt, ich liebe dich, meint damit allenthalben, sein eigenes gutes Gefühl.
Und doch gibt es Liebe.
Sie zeigt sich im Tun.
Immer in Entwicklung. Immer unterwegs.
Liebe duldet keinen Stillstand.
Sie zeigt sich nur, wenn sie gegeben wird.
Wer auf Empfang rechnet, verrechnet sich noch jedes Mal.

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Graugans dankt Herrn Ärmel für Text und Bild

T.7 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Was wir Liebe nennen

 

Er sah sich nicht als Zauberer. Er machte den Leuten nur was vor, das war alles. (S.53)

Lambert wollte gar nicht nach Kanada. Wer sicher stellen will, dass er abfliegt, der trampt nicht zum Flughafen nach Osnabrück, man trampt zu keinem Flughafen. Sein Engagement als Zauberer, Magier oder auch als Illusionist war ihm herzlich egal. Er wollte sich treiben lassen. Weg von seinem Verhältnis? Weg von seinem Leben! Klare Luft atmen. Luft eben; welche, das war ihm im Grunde gleichgültig.

Was wir Liebe nennen, ist anfangs nur ein Durcheinander. (…) Irgendein Aufsatz, ein Pamphlet, er hatte es nicht mehr vor Augen. Im Ergebnis war es darum gegangen, dass all diese Gefühle in Wahrheit rudimentäre biochemische Prozesse seien, eine Art eingespieltes Chaos. (S.61)

Zuerst dachte ich, es sei eine Sammlung verpasster Gelegenheiten, die hier offenbart wird. Oder war es ein Abschied, eine Bestandsaufnahme des Gewesenen?

Als er sie kennenlernt, sagt Andrea, die Frau vor der er jetzt gerade flieht: Der einzige Trost besteht darin, dass es nachher wieder für hundert Jahre so bleiben kann. Und man versucht nicht daran zu denken, dass alles, was wir heute über das Restaurieren wissen, morgen schon überholt sein wird. Sie machen sich keine Vorstellung davon, mit welchen Kamikazemethoden sie früher rangegangen sind. Halbe Epochen wurden ausradiert.‘

Darauf hin entgegnet er: ‚Das tut mir leid.‘ Sie: ‚Tun Sie nicht so.‘ Er: ‚Nein wirklich. Ich ertrage Vergänglichkeit nicht gut.‘ Dann wieder sie: ‚Keine gute Voraussetzung für ein Leben in dieser Welt. Geht mir aber nicht anders.‘ Sie wechselt die Watte erneut. ‚Wahrscheinlich bin ich deshalb hier gelandet.‘ (S.108) Damit haben sie festgestellt, das sie zum Paar taugen.

Genauso wird es ihm einige Zeit später in Kanada gehen: Was wollte diese seltsame Frau von ihm? Welche Wünsche würde sie ihm erfüllen? (S.128) Irgendwann sagt die Frau, Fe, zu ihm, dass sie noch ein Geschenk für ihn hätte. Das freut ihn, obwohl er nicht weiß, worum es geht. Es interessiert ihn auch nicht. Zu sehr ist er fokussiert auf etwas naheliegendes. (S.159) Und damit fängt die eigentliche, etwas surreal anmutende, Geschichte erst an.

Lange habe ich gehadert, wo und – vor allem – wie ich diese wunderbaren Sätze unterbringe. Nun, dann tue ich es eben so und hier: Einige Jahresringe später drehte sie sich zu ihm und legte die Beine über seine Knie. Sie sahen sich an, aber keiner sagte ein Wort. Im Wasser vergingen die Jahre. Manchmal öffnete (sie) den Mund und schloss ihn dann wieder. Von Zeit zu Zeit nahm einer von ihnen einen Stein und warf ihn hinauf in die Luft. Sie sahen zu, wie er emporschoss in den klaren Himmel, wie er langsamer wurde, verharrte, wie er kehrtmachte, fiel und hinunterstürzte aufs Wasser, wo in unerhörter Geschwindigkeit die Zeit verging. (S.247f)

Was wir Liebe nennen, ist zu viel und zu wenig. Es ist Mangel und Fülle, Ungenügen und Überfluss, auch wenn die Sehnsucht beim besten Willen nicht weiß, woran hier Überfluß bestehen soll. Nur was uns fehlt, wissen wir immer.*

Zum Schluß wird noch vom Verlag geschrieben: Ein zauberhafter Roman über das Wesen der Liebe – und warum angesichts von Wildpferden, Busfahrern und Doppelgängern manchmal nur ein Trick die Rettung bringt.*

Jo Lendle: Was wir Liebe nennen. Roman, 2013. DVA. ISBN 978 3 421 04606 2

* beide Zitate: Umschlag, hinten

 

Vielen herzlichen Dank, lieber Mick!

 

T.6 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Mit kalten Wangen sind wir nach Haus gelaufen

Wenn der Schnee kommt, kommt das Glück. Führen sich die Hunde im Park auf wie kleine Kinder. Große Kinder werfen Schneebälle. Andere bauen Schneemänner und Schneefrauen. Die dunklen Äste werden weiß, wenn der Schnee kommt. Die braune Wiese auch. Wenn der Schnee kommt, vergessen wir die Sorgen. Die Alten drücken sich die Nase an der Scheibe platt und haben leuchtende Augen. Die Schlitten werden herausgeholt. Die Autos auf den Straßen sind viel leiser geworden. Wenn der Schnee kommt, hält die Welt den Atem an. Stille kehrt ein. Die Menschen gehen langsamer. Weißt du noch, wie der Schnee schmeckt? Du hast immer die Zunge rausgestreckt und Schneeflocken gefangen. Die Schneeflocken haben mit deinen Augensternen um die Wette gestrahlt. Mit kalten Wangen sind wir nach Haus gelaufen. Als der Schnee kam, lagen wir uns in den Armen.

 

Stefan, lieben Dank an Dich!

T.5 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Mutmaßungen über die Liebe in 24 Fragmenten.

1/ So nah und doch so weit.
2/ Kammerspiele des Lebens.
3/ Versuche sich selbst zu spiegeln.
4/ Umhalsungen gegen die Einsamkeit.
5/ Folgebewegungen eines Zustandes nahe am Glück.
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6/ Vertrauliche Offenbarung.
7/ Wiederholende Versuche Sich zu öffnen.
8/ Im flüchtigen einen Halt.
9/ Im Glauben dennoch.
10/ Beschützende Obhut.
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11/ Stille Umhalsungen.
12/ Stützräder der Seele.
13/ Die Wundsalbe der Illusion.
14/ Nabelschnur im Fremden.
15/ Anker im offen Meer.
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16/ Dem eigenen Echo als Halteschnur.
17/ Im nackten als Stola.
18/ Der Leidenschaft als Ziel.
19/ Massage der Sinne.
20/ Einem Traum eine Form geben.
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21/ Zwecklos ohne.
22/ Zündfunke im Ich.
23/ Krönung des Nichts.
24/ Das Salz in der Suppe von Leben.
by.lz.

T.4 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

EINSFÜNFUNDVIERZIG

Werkskantine VEB Mineralölwerke Lützkendorf. 1978.
Zwei männliche 11.klässler setzen sich an einen Tisch, an dem schon zwei 12.klässlerinnen sitzen. Die eine hat die „Sheer Heart Attack“ von Queen! Da muss man sich mal kümmern. Von der anderen wissen beide nichts; außer, dass sie die Freundin jener Queenplattentante ist. Sie ist klein und blond; trägt die Haare als halblangen, extrem aufgeplusterten Wuschelkopf. Vermutlich sollte der ihre einsfünfundvierzig vergrößern, erzeugte jedoch eher ein auffallendes Missverhältnis zwischen Kopf und Körper, weshalb man sie eben eher übersah. Bisher!
Der eine 11er smalltalkte sich an die Queenplatte heran. Die andern beiden aßen mehr oder weniger schweigend; streuten hie und da mal einen Zufallssatz ein.
Irgendwann schoß so ein gewitzter Blick unter dem blonden Wuschelpony vor. Der war für den Smalltalker bestimmt, (klar, der bekam sie alle! Warum auch immer!) wurde aber nur von dessen Beisitzer bemerkt – und traf diesen, ohne, dass es ihm richtig klar wurde – ins Herz.
Denn: Einsfünfundvierzig! Wie soll das gehen? Hinknien zum Küssen? Oder steigt sie auf nen Stuhl? Und dann diese Frisur von ihr! Da lachen nicht nur die Hühner. Würde man sich mit ihr sehen lassen können? Aber andererseits dieser Blickblitz! Sowas kann die öfters! Und wenn diese Blitze erst für ihn bestimmt wären! Das Grübelwerk routierte los…
Die Teller waren leer. Die 4 standen auf, brachten sie weg, wobei der stille Beobachter insgeheim die Größenverhältnisse checkte. Hach, sie war wirklich verdammt klein. Verfluchte einsfünfundvierzig etwa. Suzi Quatro soll einsdreiundfünfzig sein und die is’schon lütt!
Die 4 gingen brav zum Bus, der sie alle zurück zur Schule brachte. Die Betriebsbesichtigung war zuende. Wenige Tage später gab es die „Sheer Heart Attack“ zum Aufnehmen. Der Schulcasanova hatte es wiedermal geschafft. Er stand noch ein paar Mal mit der Spenderin auf dem Schulhof beieinander; sein Lützkendorfbegleiter stand woanders in einer Traube und spähte aus nach einsfünfundvierzig.
Mehr war nicht. Kein Name. Kein Date. Keine Romanze.

Zwei Jahre später steigt ein Student aus dem Zug in seiner Heimatstadt und zwei Waggontüren weiter vorn sie – einsfünfundvierzig. Immernoch. Nicht gewachsen. Dieselbe Frisur. Leichtes Gepäck. Er holt sie mit zwei Schritten ein.
„Hallo.“
Da! Der Blitz! Diesmal war er gemeint. Oder bildet er sich’s nur ein? Ist es mehr als eine Mutmaßung?
Sie redeten über dies und das. Nach ein paar hundert Metern durch die Bahnhofsstraße bog sie links ab.
„Tschüs.“
„Tschüssi.“
Er sah ihr noch nach. Nur ein-zwei Sekunden. Aber die Szene brannte sich ihm ein.
Ach was. Einsfünfundvierzig! Pah. Er hatte sich ja gerade erst verlobt. Er sah auf den Ring an seinem Finger. Zwei Jahre später wechselte dieser die Hand. Zwei weitere Jahre später wanderte er in die Schreibtischschublade.

Nach der Silberhochzeit sitzt der Schweiger vor dem Fernseher und hört dem alten Kabarettisten Werner Schneyder zu, der gerade erzählt, wie er seine Frau fand:
„Ich sah sie im Park und sprach sie sofort an.“
„Warum?“
„Weil ich in dieser Sekunde wusste: Wenn du das jetzt nicht tust, siehst du sie nie wieder! Und es wurde mein Glück!“
Der Fernsehzuschauer da schaut hinüber zu seiner Frau im anderen Sessel, lauschte in sich und in seinem Kopf dröhnte ein Satz von Klaus Renft: „Leid tun dir später nur die Dinge, die du nicht probiert hast.“
Ein paar Gehirnwindungen tiefer drin bringt sich ein Song von STS in Erinnerung: „Wenn was gewesen wär…“, … sein Kopf ging wieder Richtung Bildschirm, aber er sah nicht hin. Er sah: Einsfünfundvierzig. Ein paar Sekunden lang. Bis die Erinnerung für diesmal wieder zerstob.


Wo immer du jetzt bist, ich wünsch dir Glück.
Bludgeon

Vielen Dank, lieber Bludgeon!