Archiv für den Tag: 16. Dezember 2016

T.16 der Mutmaßungen über die L.i.e.b.e.

Die Freundesstimme noch im Ohr, die mir mit eigener Einsicht und Lebensklugheit begegnet im Austausch über die Weisheit der Märchen, bereite ich Plätzchenteig. Da hinein knete ich die Freude darüber, daß es möglich ist, jetzt in dieser allgemeinen Raserei und all der lauten Hektik unseres sogenannten modernen Lebens sich die Zeit zu schenken, um über die innersten Dinge zu sprechen, über das „Schauen“ und das „Horchen“ und die alten starken Kräfte der Elementarwesen. Es tut gut, auf Menschen zu treffen, die , ohne daß ich mich erklären muß, verstehen, daß die vielen im Haus aufgestellten Wichtelmänner nichts mit Weihnachtsdekoration zu tun haben…

Ich bin keine , die irgendeinen Ehrgeiz besitzt, möglichst schöne oder außergewöhnliche Plätzchen zu machen, das, was mich reizt daran ist die magische Handlung…ich knete und backe Dankbarkeit und Freude über gemeinsam verbrachte  Zeit, Verständnis und Zuneigung mit hinein und dann verschenke ich sie an Menschen, mit denen ich Herzensangelegenheiten pflege.

An all dies denke ich, während ich Zitronenherzen aussteche und dann fällt mir plötzlich eine Begegnung ein…an einem heißen Sommertag in Heidelberg…

Es hat ein wenig geregnet, aber nicht abgekühlt, in der völlig überfüllten Kabine der Zahnradbahn, die sich ächzend den steilen Berg zum Schloß hinaufquält, steht die Luft wie in der Waschküche und läuft mir übers Gesicht und in den Nacken.

Ich bin irgendwo in einem Eck an die Wand geklebt, an der Kabinentür gibt es Tumult…ein winzig kleiner Mann versucht, seine noch kleinere Frau, die sehr wacklig auf den Beinen ist, samt Rollator in die Kabine zu bugsieren…gleichzeitig schreit er herum und wehrt alle Versuche, ihn am Einsteigen zu hindern lautstark ab… endlich sind beide drin und lehnen sich an den ständig davonrollenden Rollator an. Halblautes Gemurre , was denn wohl „solche Leute“ noch hier verloren hätten, wenn sie so gebrechlich sind, sollten sie doch gefälligst daheimbleiben und derlei Bemerkungen mehr, helfen tut niemand.

Als wir auf halber Höhe in eine andere Bahn wechseln,  zu der wir aber viele Stufen hinaufsteigen müssen, verliere ich die beiden aus den Augen im Strom der heraus- und hinaufdrängelnden Menschenschar.

Als ich mich auf der Treppe umdrehe, sehe ich gerade noch, wie der kleine Mann sich am Geländer festhält und seine Frau alleine zurückläßt, die zwischen Tür und Bahnsteig auf einem kippelnden Rollator sitzt und jeden Moment droht, abzustürzen…ich renne los, schreiend, es solle doch bitte jemand der Frau helfen…“die wollen keine Hilfe“ schreit einer zurück…meine Güte…als ich sie erreicht habe, fällt sie schon und ich kann sie grad noch auffangen. Ich halte ihn ein wenig in meinen Armen, diesen federleichten Körper aus Haut und Knochen, wie ein Vögelchen so zart…große alte Kinderaugen schauen mich an, erstaunt, verwirrt, glänzend.

Ich sage: „Wollen wir gemeinsam die Treppe da hinaufspringen und zusammenbleiben, bis wir oben angekommen sind?“ Da schiebt sich ein winziges kühles Händchen in meine große warme Hand und so bewältigen wir alle weiteren Schwierigkeiten gemeinsam, sie nimmt wagemutig die für die kleinen wackeligen Beine viel zu großen Stufen in Angriff, da wo es nicht  mehr geht, da schiebe oder trage ich sie ein wenig. Sie sagt: „Wissen Sie Fräuleinchen, ich bin 97 Jahre alt, da ist man nicht mehr so gut auf den Beinen!“ Der Ehemann scheint froh zu sein, den Rollator für sich zu haben und sich endlich mit beiden Händen festhalten zu können.

Oben an einem Drehkreuz angekommen, durch das man nur mit abgestempeltem Fahrschein gelangen kann, halten wir die ganze unleidlich werdende Menschenmenge auf, weil  ich irgendeinen Fehler mache und wir dadurch getrennt werden, eine Spannung baut sich auf unter den ganzen Touristen, die mich anglotzen, als käme ich vom Mars…letztendlich rettet die Lage ein ganz junger Mann, der tut, was es zu tun gibt, und die kleine zitternde Frau freundlich und ruhig herauslotst.

Endlich stehen wir also auf dem Schloßplatz, wo wir hinwollten und wir treffen den Ehemann, der schon mit dem Rollator wartet, auf den sich seine Frau gleich setzt und ich frage, ob ich noch was tun könne oder ob sie denn zurechtkämen jetzt, alleine auf sich gestellt?

Oh ja, sie kämen bestens zurecht, sagt der Mann und bedankt sich bei mir und die kleine Frau winkt mich nochmal zu sich und sagt: „Fräuleinchen, es ist unter den Menschen nicht selbstverständlich, sich zu helfen…Sie sind ein ganz besonderer und wertvoller Mensch und Sie werden für alles, was Sie heute für uns getan haben reich belohnt werden, glauben Sie mir!“ Und ich sehe dieses alte Kindergesicht mit den etwas zerzausten, langen grauen Haaren, die wohl mal ein Zopf sein sollten und diese Augen, so tiefblau wie unsere Berge bei Föhn…und ich bin gerührt und ein wenig beschämt und als ich gehe, werfen mir die beiden noch viele Kusshändchen nach und rufen ein paar Mal Danke…und dann sind sie verschwunden…

Und jetzt werde ich meine Zitronenherzen in den Ofen schieben und sie später mit Zuckerglasur überziehen und ganz viele bunte Liebesperlen draufstreuen!

 

img_2111